Die aktuelle Pandemie eint und spaltet zugleich – typisch für eine Zeit der Widersprüche. In Österreich überwiegen Zuspruch und Verständnis für staatliche Maßnahmen, die kaum jemand in unseren Zeiten für möglich gehalten hätte. Eine Minderheit zweifelt am Verstand ihrer Mitbürger und sieht eine Panik, womöglich sogar für böse Absichten künstlich geschaffen.
Die Mehrheit liegt oft falsch. Contrarians liegen leider noch öfter falsch. Trotzdem bin ich oft Contrarian, und schätze Contrarians, denn die Fälle, in denen sie richtig liegen, sind dann so bedeutsam (eben weil die Mehrheit irrt), dass sie alle – letztlich meist konsequenzlosen –Minderheitenirrtümer aufwiegen.
Der chinesische Staat hat vorgezeigt, dass entschlossene Staatsgewalt große Krisen beilegen kann, und der österreichische Staat tritt an, selbiges zu beweisen. Hat er unser Vertrauen verdient? Ohne Mindestvertrauen kollabiert eine Gesellschaft, deshalb würde ich sagen: Ja, als unsere Mitmenschen verdienen auch Staatsvertreter unser Vertrauen, allerdings kein blindes und unkritisches. Wird diese Krise einmal bewältigt sein, ist Kritik angesagt: Als Zeitzeugen haben wir ein weiteres massives Staatsversagen zu dokumentieren.
Wenn es irgendeine Kernaufgabe des Staates geben sollte, dann ist sie der Schutz vor Bedrohungen, die Individuen, freiwillige Organisationen und Unternehmen überfordern könnten. Kriege und Epidemien würden am ehesten dazu zählen. Bei Kriegen wissen wir aber, dass sie Staaten eben auch verursachen. Hypothesen, dass diese Epidemie verursacht sein könnte, halte ich für unbelegt und ideologisch motiviert und lehne sie daher ab. Doch die Schuld an der massiven Ausbreitung ist einerseits bei der Informationsunterdrückung des chinesischen Staates zu suchen. Andererseits, wie sich eben zeigt, beim erschreckenden Versäumnis westlicher Staaten. Mangelhafte Vorbereitung, Verschlafen der Warnzeichen, Führungsversagen sind klare Hinweise auf Dekadenz und morsche Institutionen. Ohne staatlichen Interventionismus, der Wohlstand und Innovationskraft mindert, die Zivilgesellschaft untergräbt und Eigenverantwortung durch passive Staatsgläubigkeit ersetzt, bräuchte es aktuell womöglich gar keine Intervention.
Wie eine freie Gesellschaft mit einer Epidemie umgehen könnte, ohne sich auf staatliche Rettung zu verlassen, zeigt ausgerechnet das unfreie Hongkong in Ansätzen. Hongkong ist mittlerweile als failed state zu klassifizieren, doch die Zivilgesellschaft zeigte so großen Organisationsgrad und so hohe Disziplin, dass die Eindämmungserfolge beachtlich sind. Ein Monopol auf Sicherheit zu beanspruchen und dann nicht einmal auf eine Epidemie vorbereitet zu sein, die eben kein schwarzer Schwan ist, sondern sogar als Szenario in einer vom Staat (BRD) beauftragten Studie erscheint – das zeigt die schwache Basis des modernen Staates.
Diese Kritik muss festgehalten werden als Zeugnis und Würdigung der Contrarians. Ihr Misstrauen ist höchst berechtigt. Doch jetzt ist nicht die Zeit der Kritik, jetzt ist die Zeit der Krise. Wenn das Haus brennt, darf man nicht nach dem Brandstifter suchen, sondern muss löschen. Die Einsatzleiter glänzen nicht immer durch Kompetenz. Sie sind Teile von Strukturen, deren innere Fäulnis die Mehrheit noch nicht sieht. Aber sie sind in ihren Positionen – und diese kann man vor und nach einem Brand in Frage stellen, aber nicht währenddessen.
Damit kommen wir von der Kritik der Mehrheitsmeinung und der von ihnen ertragenen Institutionen sowie der Würdigung der Contrarians schon zum nun Wesentlichen: Eine kritische Diskussion der aktuellen Contrarians. Im Folgenden werde ich auf alle prominenten Argumente eingehen und eine fundierte Einschätzung der Lage bieten. Da ich selbst meist Contrarian bin, ist der restliche Text vorerst nur für meine Vertrauten offen, denn Information ohne Vertrauen ist in solchen Zeiten besonders riskant. Es ist nämlich eine rationalistische Illusion, dass rationale Argumente ohne Vertrauensbasis irgendetwas bewirken können.
Eine Klarstellung vor weg: Das Virus ist selbst viel weniger letal als die italienischen, chinesischen und iranischen Zahlen erscheinen lassen. Die Letalität wird überschätzt, die Krankenhausüberlastung aber von vielen noch unterschätzt. Letztere liegt vorwiegend am unvorbereiteten und unflexiblen Gesundheitssystem. (Der folgende Text wurde aktualisiert um eine Einschätzung der Argumente von Sucharit Bhakdi.)
Ein Teil des Textes ist leider nicht öffentlich zugänglich, da der Autor für Freunde schreibt und sich kein Blatt vor den Mund nimmt. Die Intimität der alten Wiener Salons ist im scholarium Voraussetzung der Erkenntnis, die keinerlei Rücksicht auf Empfindlichkeiten nehmen kann. Vertrauen beruht auf Gegenseitigkeit, gerne laden wir Sie dazu ein.