Hintergründe zur Entscheidung in El Salvador
Nach zuletzt großer Ungewissheit und negativen Schlagzeilen gab eine überraschende Entwicklung Bitcoin-Sparern neuen Mut: El Salvador, der kleinste lateinamerikanische Staat, erklärte Bitcoin zu einem gesetzlichen Zahlungsmittel.
Der Internationale Währungsfonds warnte sogleich vor den damit verbundenen Risiken. Vermutlich wird sich bald folgende Interpretation unter Journalisten durchsetzen: Ein autoritärer Rechtspopulist in einem Drogenstaat mit der höchsten Mordrate der Welt zwingt der armen Bevölkerung ein verrücktes Experiment auf, das nur privilegierte Bitcoin-Millionäre auf Kosten der Ersparnisse der Ärmsten bereichert.
Diese Deutung hat einen wahren Kern, ist aber in bedauerlicher Weise irreführend. Präsident Nayib Bukele regiert entschlossen mit absoluter Mehrheit, hat allerdings auch Zustimmungsraten, von denen westliche Politiker nur träumen können: über 90 Prozent. Als jugendlicher Präsident zeigt er sich gerne als technikaffin und unkonventionell. Allein schon zur Bekräftigung dieses Image und zum Gewinnen von Aufmerksamkeit hat sich die Ankündigung als voller Erfolg erwiesen. Darüber hinaus hat ein Zustrom von Bitcoin-Anhängern eingesetzt, die als Touristen, Investoren und Immobilienkäufer Devisen ins Land bringen – in steigendem Maße neben dem Dollar nun auch die Devise Bitcoin.
Dass Bitcoin eine Devisenwährung sei, wird von vielen verneint. In der Tat wird Bitcoin nur in relativ geringem Maße für Zahlungen eingesetzt, der größte Teil wechselt relativ selten die Besitzer. Doch El Salvador hat sich hier als eine Ausnahme erwiesen, die für Bitcoin viel wichtiger ist als der gesetzliche Status. Der Fokus auf die Politik lässt wie immer die eigentlich relevanten Dynamiken verkennen und verwechselt Ursache und Wirkung. Der Umlauf von Bitcoin ist nicht die Folge der genialen Voraussicht eines Politikers. Ganz im Gegenteil ist die politische Kampagne von Bukele die Folge eines steigenden Bitcoin-Umlaufs.
Schon vor etlichen Jahren hat ein anonymer Philanthrop einen kleinen Küstenort in El Salvador für sein Wirken ausgewählt: Er finanzierte eine wachsende Bitcoin-Zirkulation, begleitet von Bildungsaktivitäten und technischer Unterstützung für den Zahlungsverkehr. Die hohen Transaktionskosten von Bitcoin hätten die praktische Nutzung in einer Wirtschaft, in der viele Zahlungen den Wert weniger Cents nicht übersteigen, verunmöglicht. Doch die Integration einer neuen Technologie in leicht zu nutzende Mobil-Apps erlaubt nun günstige Kleinstzahlungen in Bitcoin: Lightning – eine Art Settlement-System, bei dem Transaktionen an Knoten gesammelt und erst später Differenzen mit der Bitcoin-Kette abgeglichen werden.
Es ging hier also ausnahmsweise nicht darum, dass Sparer unter dem Druck von Kaufkraftverlust und Negativzinsen zur Spekulation gedrängt werden und ihre Fiat-Ersparnisse gegen Bitcoin oder Altcoin eintauschen. Die Ersparnisbildung in El Salvador ist gering, die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung hat gar kein Bankkonto. Die Wirtschaft ist in großem Maße von den Ersparnissen von Salvadorianern im Ausland abhängig, die diese nur über teure Dienstleister wie Western Union heimschicken können. Dabei betragen die Spesen oft bis zu 30 Prozent der Transaktionssumme.
Es war also wohl nicht die volatile Kursentwicklung von Bitcoin, die in einer der phantastischen Bullenphasen durch steigende Nominalwerte zum typischen Enthusiasmus von Krypto-Spekulanten führte. Vielmehr erlebten Salvadorianer zum ersten Mal eine Möglichkeit, schnell und günstig digitale Zahlungen zu nutzen. Für uns ist das nichts Besonderes, dieser Komfort ist aber nicht kostenlos: Die nötige Banken- und Fintech-Infrastruktur hat den Preis höheren Staatskredits (Monetisierung künftiger hoher Steuern in gegenwärtige Liquidität), der Speicherung persönlicher Daten mit der damit verbundenen Überwachung und Gefährdung durch Identitätsraub und Schlimmeres, der Aufgabe eines Teils der Souveränität über die eigenen Ersparnisse sowie all der Ungerechtigkeiten von Geldmonopol und Bankenkartell, wie etwa Umverteilung durch den Cantillon-Effekt.
In El Salvador hatte man sich in der Vergangenheit dazu entschieden, auf eine eigene Währung zu verzichten – der US-Dollar war bislang einziges gesetzliches Zahlungsmittel. Diese Entscheidung ist pragmatisch: Eine eigene Zentralbank stünde wie jede andere unter dem politischen Druck zur Inflationierung, mangels Nachfrage nach der Währung eines armen Kleinstaats würde diese unmittelbarer in Teuerung umschlagen und durch das typische hyperinflationäre Muster nachhaltige Wirtschaftsentwicklung verunmöglichen. Der Dollar hingegen ist trotz massiver Zentralbankinflation durch globale Leitwährungsnachfrage, Militärmacht und Ölgeschäfte „gedeckt“, sodass relativ zu anderen Währungen der Teuerungsdruck meist moderat ist.
Bitcoin hat gegenüber dem Dollar den Vorteil, geopolitisch neutral zu sein. El Salvador versucht, ein wenig aus dem Schatten der Weltmacht im Norden zu treten. Dazu bemühte sich Bukele auch schon um chinesische Investitionen. Der Grund ist wohl weniger pragmatisch, sondern emotional: Besonders hoch gehen die Wogen zwischen lateinamerikanischen Politikern und US-Politikern mit lateinamerikanischen Wurzeln, die besserwisserisch auftreten. So musste sich Bukele schon viele Ermahnungen anhören, mehr auf Demokratie und Rechtsstaat zu achten, woraufhin er beleidigt reagierte, dann aber einige Millionen in das in den USA typische Lobbying durch Ex-Politiker investierte.
Der größte Vorteil von Bitcoin ist, als verteilte Technologie ohne Kopf oder Institution apolitisch und damit bislang auch erstaunlich resilient gegenüber Politik zu sein. Sogar die jüngste Vertreibung aller Bitcoin-Schürfer in China überstand das Netzwerk relativ problemlos. Die Nutzung in der politischen Öffentlichkeitsarbeit könnte da falsche Eindrücke erwecken. Die Salvadorianer können Bitcoin gut gebrauchen, doch Bitcoin braucht die gesetzliche Privilegierung in El Salvador nicht.
Zuerst erschienen auf eigentümlich frei