Der klarsichtige deutsche Ökonom der Wiener Schule mit herausragender Bedeutung für die Geschichte der europäischen Wirtschaftspolitik.
WILHELM RÖPKE (geb. 1899 in Schwarmstedt bei Hannover, gest. 1966 in Genf)
Ausgewählte Werke:
- Art. Staatsinterventionismus. In: Ludwig Elster & Adolf Weber (Hrsg.). Handwörterbuch der Staatswissenschaften. Ergänzungsband, 4. Aufl. Jena, 1929, S. 861-882
- Die Gesellschaftskrisis der Gegenwart, 4. Aufl. Bern & Stuttgart: Paul Haupt, 1979 [1942]
- Civitas Humana. Grundfragen der Gesellschafts- und Wirtschaftsreform, 4. Aufl. Bern & Stuttgart: Paul Haupt, 1979 [1944]
- Maß und Mitte. Bern & Stuttgart: Haupt Verlag, 1950
- Jenseits von Angebot und Nachfrage, 2. Aufl. Erlenbach-Zürich & Stuttgart: Haupt Verlag, 1958
- Wirrnis und Wahrheit. Ausgewählte Aufsätze. Erlenbach-Zürich & Stuttgart: Rentsch Verlag, 1962
- EWG im Zwielicht. Wirtschaftsorganisatorische Konstruktionen führen noch nicht zur politischen Einigung Europas (Rheinischer Merkur, 7. Februar 1964). In: Fronten der Freiheit. Wirtschaft, Internationale Ordnung, Politik. Stuttgart-Degerloch: Seewald Verlag, 1965, S. 245-251
- Die Schweiz und die Integration des Westens. Zürich: Schweizer Spiegel, 1965
Art. Staatsinterventionismus
Es ist z. B. eine ausgemachte Sache, daß wir uns ein vollkommeneres Währungssystem als die Goldwährung vorstellen können, aber wir halten trotzdem mit Recht an der Goldwährung fest, weil sie sich vor allem dadurch auszeichnet, daß sie die Stabilität der Währung als eines der kostbarsten Güter einer Volkswirtschaft vor den unvermeidlichen Unvollkommenheiten bewußter staatlicher Manipulation bewahrt. Quis custodiet custodem? Wer bürgt dafür, daß z. B. der Staat bei Anwendung von an sich rationellen Erziehungszöllen die richtigen Industrien auswählt, das Maß des Erziehungszolles richtig wählt und ihn zur rechten Zeit wieder beseitigt? Macht man sich diese Schwierigkeiten klar, so erkennt man, wie richtig der Ausspruch eines englischen Nationalökonomen (Sidgwick) ist, daß im Gegensatz zu der landläufigen Meinung in der Theorie zwar einiges zugunsten von Schutzzöllen, in der Praxis aber gerade alles dagegen spricht. Es ist nicht zu leugnen, daß diese praktischen Bedenken gegen den Staatsinterventionismus ganz besonderes Gewicht in einem parlamentarisch regierten Lande haben, wo gleichzeitig auch die Reinheit des innerpolitischen Lebens gebieterisch verlangt, materielle Konfliktstoffe, wie sie Staatseingriffe darstellen, soweit wie irgend möglich fernzuhalten. Ganz besonders gilt dies dort, wo den Organen der Volksrepräsentation das Gegengewicht einer durch geistige und moralische Tradition ausgezeichneten Beamtenschaft, wie zum großen Teile heute immer noch in den Vereinigten Staaten, fehlt. 869f
Die Gesellschaftskrisis der Gegenwart
Wir erkennen dann mit Erstaunen, daß diese einzigartige Periode von 1814 bis 1914 ein Jahrhundert überwiegenden Friedens und zugleich das Jahrhundert des liberalen Kapitalismus gewesen ist, und dieses Jahrhundert, das in der Geschichte an Fortschrittsfreudigkeit, Ordnung, Stabilität und Wohlstandsteigerung seinesgleichen sucht, ist es, das von einer Periode der Zerrüttung abgelöst wird 12
So will es uns heute tatsächlich schon als durchaus möglich erscheinen, daß man unsere Periode später einmal als das “geistige Interregnum” empfinden, wenn nicht gar bezeichnen wird, als die “Kaiserlose, die schreckliche Zeit” [Ballade „Der Graf von Habsburg“ von Friedrich Schiller] eines geistig-moralischen Vakuums, das durch die Auflösung und Zersetzung aller überkommenen Werte und Normen, durch den kulturellen Reservenverzehr eines ganzen Jahrhunderts geschaffen worden ist. Das Alte ist verbraucht oder entwertet, alles ist weich und schwammig geworden, das Absolute relativiert, der feste Untergrund von Normen, Prinzipien und Glaubensvorstellungen unterhöhlt und vermorscht, alles ist von Skepsis und “Ideologieverdacht” (H. Pleßner) angefressen, und der “warme unheimliche Atem des Tauwinds”, den Nietzsche spürte, hat sein Werk getan. „Nous vivons du parfum d’un vase vide“, hatte schon der alte Renan gesagt. Das aber, was dieses Vakuum wieder auszufüllen bestimmt ist, kann im Augenblick erst in seinen allgemeinsten Umrissen erkannt werden. Daher ist denn das “Provisorische”, der aufdringliche Ersatz echter Autoritäten, der Nihilismus, der die Sinnlosigkeit überdröhnende reine Aktivismus und Dynamismus, die Prinzipienlosigkeit ebensosehr das Kennzeichen unserer Zeit geworden wie der tröstliche und rührende, aber auch zu gefährlichsten Verirrungen und Perversionen verleitete Hunger der Menschen nach dem Definitiven, dem Stabilen, dem Absoluten. 17[…] sehr realen Tatsache […], daß das Christentum nun einmal eine der stärksten gestaltenden Kräfte unserer Kultur und aus ihr nicht fort zu denken ist. Aus dieser Erkenntnis scheint sich uns das Minimum an Christentumsbejahung zu ergeben, das mit unserer Kulturverantwortung vereinbar ist. Daß aber andererseits an ein „künstliches Neupflanzen von Christentum zum Zwecke der guten Aufführung“ (Jacob Burckhardt) nicht zu denken ist, beleuchtet die ganze Schwere der hier gestellten Aufgabe 19
Die Bewohner eines großen Appartementhauses sind sich völlig fremd und werden einander vielleicht zum ersten Male im Luftschutzkeller kennen, aber dafür stehen Sie auf der anderen Seite zur Gesamtheit aller Mitmenschen in den allerengsten anonymen Beziehungen äußerer und mechanischer Art, als Käufer und Verkäufer, als Teil von einander drängenden Menschenmassen, als Wähler, als Radiohörer und Kinobesucher, die mit Millionen anderen denselben akustischen oder optischen Eindrücken ausgesetzt sind, als Steuerzahler, als Pensions- und Unterstützungsempfänger, als Mitglieder der Krankenkasse und irgendeines Zentralverbandes. 23
Schließlich geht der Pseudointegration der Massengesellschaft die Pseudoführung parallel, das heißt die Staats-, Kultur- und Gesellschaftsbeherrschung durch Menschen, denen die Legitimation zu echter geistiger Führung abgeht, weil sie, ohne Abstand von der eingeebneten Massengesellschaft, mit ihrem Wissen und ihren Gefühlsreaktionen selbst zu ihr gehören und ihre Führerstellung nur der virtuosen Interpretation und Handhabung dieser Reaktionen verdanken. In ihnen übernimmt der Massenmensch – der homo insipiens gregarius – selbst die Führung, jener Mensch, wie ihn Ortega y Gasset in seiner platten Allerweltsbildung, seiner durch nichts gerechtfertigten Anmaßung und Aufdringlichkeit, seinem Besserwissen, seiner Urteilslosigkeit und seinem geistig-moralischen Herdendasein geschildert hat. Hundert Jahre falsch verstandene Demokratisierung der Bildung und der überwiegenden Verstandeskultur haben hier im Verein mit dem Verfall der hierarchischen Gesellschaftsstruktur ein Produkt geschaffen, dessen Eigenschaften sich alle schließlich auf den Mangel an Ehrfurcht zurückführen lassen, jener Ehrfurcht, die – so verstanden wie es uns die gewaltige Stelle in “Wilhelm Meisters Wanderjahren” (II. Buch, I. Kapitel) lehrt – vielleicht die elementarste Grundlage jeder Kultur ist. Es ist die verecundia Ciceros, sine qua nihil rectum esse potest, nihil honestum (De officiis, I,41). 24f
Die Überflutung des Westens mit unzähligen neuen Millionen bedeutete eine ökonomische, soziale und kulturelle Spannung, der kaum irgendeine Gesellschaft hätte widerstehen können, ohne ihre Struktur zu verlieren und zu einer Massengesellschaft zu degenerieren. […] Die beispiellose Menschenhochflut der letzten hundert Jahre ist es auch, die der Menschheit selbst dann, wenn nicht noch andere Kräfte am Werk gewesen, jenen kolossalen und überschraubten Apparat der Massenversorgung aufgezwungen hätte, die Orgie von Technik und Organisation, die Großindustrie, die aufs äußerste entwickelte Arbeitsteilung, die aufgeblähten Großstädte und Industriereviere, das Tempo und die Unstabilität des Wirtschaftslebens, die traditionslos-materialistisch-rationalistische Lebensführung, Massenproduktion, Massenunterhaltung, Zentralisation, Organisation, die erdumfassende gegenseitige Abhängigkeit, die Überladenheit, das Hin- und Herwerfen von Menschen und Gütern, die Aufwühlung alles Beständigen und Gewachsenen, die Unterwerfung des ganzen Erdballs unter eine mechanistisch-positivistische Zivilisation. 28f[Gegensatz zu] einem reaktionären Obskurantismus, der heute so eifrig am Werk ist, aus dem allgemeinen Katzenjammer über die jüngste Epoche der Geschichte Kapital zu schlagen und uns zur Preisgabe gerade des großen Aktivums dieser Epoche zu überreden: der Überwindung jeder auf der Hierarchie der Gewalt aufgebauten Mittelalterlichkeit. 42
Man wird aber ungefähr das Richtige treffen, wenn man mit Ausdrücken wie “konstruktiver” oder “revisionistischer Liberalismus”, “ökonomischer Humanismus” oder, nach meinem eigenen Vorschlag, “Dritter Weg” operiert. 43
Ein Werk genossenschaftlich verbundener und freiheitsliebender Bauern und Bürger, hat es [die Schweiz] der Welt den harmonischen Ausgleich von Bauerntum und Stadtkultur vorgelebt […]. 47
Die Welt befände sich heute nicht in ihrem trostlosen Zustande, und das vorliegende Buch wäre niemals entstanden, wenn nicht die Irrwege des Rationalismus – die verhängnisvoller sind als alle mißleiteten Leidenschaften – dazu geführt hätten, daß alle großen und vielversprechenden Ansätze des 18. Jahrhunderts schließlich in eine krisenhafte und noch heute nachwirkende Katastrophe ausmündeten: die französische Revolution. 70f[…] die wirkliche Glanzperiode des Mittelalters, diejenige der bürgerlichen Städtekultur, […] durch einen neuen Sieg des Herrschaftsprinzips (Feudalismus und Absolutismus) vernichtet worden ist. 73
Beispiele gesunder Demokratien, für die wir, juristisch gesprochen, das Recht der Aussonderung aus der Konkursmasse von 1789 geltend machen: obenan die Schweiz, dann die nordischen und angelsächsischen Demokratien, die alle ihre gesunde Lebenskraft bewahren, weil sie einen ganz anderen, älteren und organischeren Stamm des Demokratismus und Liberalismus darstellen, andererseits gerade insoweit angekränkelt erscheinen, als sie sich in ihrer Tradition durch die Irrtümer von 1789 haben beirren lassen. Alle diese Demokratien durchkreuzen durch ihre bloße Existenz jeden Versuch, Demokratismus und Liberalismus als Erfindungen von 1789 auszugeben und ihren wahren Stammbaum zu verdunkeln. Sie verdanken ihren Ursprung nicht den rationalistischen Tüfteleien von Philosophen und Advokaten, sondern dem Freiheitskampf von Bauern und Bürgern, die sich seit dem frühen Mittelalter gleich den unglücklichen Stedingern gegen feudale und absolutistische Umklammerung gewehrt und ihren Staat genossenschaftlich von unten her organisch aufgebaut haben. Am Anfang der schweizerischen Demokratie stehen die Talgenossenschaften und Gemeinden der Alpenbauern, am Anfang der amerikanischen die „townmeetings“, die sich dann allmählich nach oben zur Union zusammenschließen, und den in diesen Ursprüngen wurzelnden Freiheitsgeist hat das reformierte Christentum in die Form jener Menschen- und Bürgerrechte gegossen, die von den Demokratien Neu-Englands schließlich ihren Weg nach Frankreich genommen haben. Die Geschichte des Demokratismus und Liberalismus hat in der Tat noch mit ganz anderen Daten als 1789 aufzuwarten: dem schweizerischen Bundesbrief von 1291, der Magna Charta von 1215, dem schwedischen Allgemeinen Landesgesetz des Magnus Erikson (um 1350), der Petition of Rights von 1628, dem Mayflower Compact von 1620, der holländischen Föderation von 1579, der Declaration of Rights von 1688, der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung von 1776, der amerikanischen Verfassung von 1788 nebst ihren berühmten Amendments, der sogenannten Bill of Rights, der schweizerischen Verfassung von 1848 und 1874. 76f
Daß die Konkurrenz gar eine moralisch-soziologisch nicht ungefährliche Anordnung darstellt, die daher in Schranken gehalten und überwacht werden muß, wenn sie den sozialen Körper nicht vergiften soll, blieb jenem historischen Liberalismus (vor allem dem des 19. Jahrhunderts) verborgen. Man war im Gegenteil der Meinung, daß die auf Konkurrenz und Arbeitsteilung beruhende Marktwirtschaft eine ausgezeichnete moralische Erziehungsanstalt sei und durch den Appell an den Egoismus die Menschen zu Frieden, Anstand und allen bürgerlichen Tugenden anhalte. Während wir heute wissen (was man immer hätte wissen können), daß die Konkurrenzwirtschaft ein Moralzehrer ist und daher Moralreserven außerhalb der Marktwirtschaft voraussetzt, war man verblendet genug, sie für einen Moralanreicherer zu halten. 87f
Damit hängt es nun ferner zusammen, daß jener ökonomische Liberalismus als echtes Kind des Rationalismus souverän die vitalen und anthropologischen Gegebenheiten ignorierte, die der Entfaltung des kapitalistischen Industrialismus Grenzen ziehen, wenn man den Menschen nicht eine Existenzform aufzwingen will, gegen die sie, weil ihrer Natur zuwiderlaufend, schließlich rebellieren. Diesem allem Vitalen so fremden Geiste des historischen Liberalismus verdanken wir unsere monströsen Industriereviere und Großstädte, ja jene Pervertierung der wirtschaftlichen Entwicklung, die Millionen zu einem vital unbefriedigenden Dasein verurteilt und vor allem das Proletariat erst zu einem weit über das Materielle hinausgehenden Problem gemacht hat. 89
Halten wir zunächst fest, daß der Kapitalismus sich in demjenigen geschichtlichen Raum entfaltet hat, der mit den wenigen Ausnahmen, die vor allem die Schweiz repräsentiert, für die Entwicklung des Abendlandes leider bestimmend gewesen ist und sie in jeder Beziehung in so verhängnisvoller Weise verzerrt hat: dem durch das Gewalt- und Ausbeutungsprinzip beherrschten feudal-absolutistischen. Nur wer die trostlosen Jahrtausende der Gewalt und der Entwürdigung des Menschen durch Feudalismus und Absolutismus überblickt, kann voll ermessen, welche Befreiung und Erleichterung die Menschen dem liberal-kapitalistischen Zeitalter schulden, und nichts kennzeichnet diesen Fortschritt, den wir sogar noch dem so unvollkommenen Kapitalismus verdanken, besser als das neue Gefühl für Würde, Selbstachtung, Gerechtigkeit und Freiheit, das die Menschen heute so empfindlich gemacht hat, daß sie, ohne nach rückwärts in die Geschichte zu schauen, mit dem errungenen keineswegs zufrieden sind, sondern das, was man ihnen schuldig blieb, nur um so stürmischer fordern, so wie die französische Bourgeoisie von 1789, von der Emile Faguet – darin Tocqueville folgend – in dem Motto dieses Kapitels spricht. Daß aber der Kapitalismus ihnen so viel schuldig blieb, kommt zum großen Teil auf das Konto jener schlimmen Erbschaft, die er von Feudalismus und Absolutismus übernommen hat. 185
Es wäre eine große Selbsttäuschung zu meinen, daß die Parole einer bloßen Rückkehr zum Ausgangspunkt, nämlich des historischen Kapitalismus mit allen seinen Attributen, das Feldgeschrei abgeben könnte, mit dem wir den Sieg über den Kollektivismus erringen. 231
Ein starker Staat ist nun aber nicht derjenige, der sich in alles mischt und alles an sich zieht. Im Gegenteil, nicht die Vielgeschäftigkeit, sondern die Unabhängigkeit von den Interessengruppen und die unbeugsame Geltendmachung seiner Autorität und seiner Würde als Vertreter der Allgemeinheit, kennzeichnen den wirklich starken Staat […]. Das ist der Staat, den die Marktwirtschaft und unser Wirtschaftsprogramm voraussetzen: ein Staat, der genau die Grenze sieht zwischen den Agenda und den Non-Agenda des Staates, der sich in dem ihm zukommenden Bereich mit der ganzen Kraft seiner Autorität durchsetzt, außerhalb dieses Bereiches aber sich von jeder Einmischung fernhält – ein robuster Schiedsrichter, dessen Aufgabe es ist, weder mitzuspielen noch den Spielern ihr Spiel in allen seinen Bewegungen vorzuschreiben, der vielmehr in voller Unparteilichkeit und Unbestechlichkeit für die strikteste Einhaltung der Spielregeln und der sportlichen Fairness sorgt. 310
Es [der ökonomische Humanismus des Dritten Weges] heißt in erster Linie die Rückkehr zu ökonomisch ausgeglichenen, natürlichen und menschlich befriedigenden Formen des Lebens und der Produktion. Ohne daß wir damit in den entgegengesetzten Fehler einer Geringschätzung der Stadt, des Gewerbes und des Bürgertums verfallen wollen, bedeutet das vor allem eine Besinnung auf das ökonomische, soziale und gesellschaftliche Fundament der organischen Urproduktion, d.h. der Landwirtschaft. 323
Der unverschuldete Bauer auf ausreichender Bodengrundlage ist der freieste und unabhängigste Mensch in unserer Mitte; weder Nahrung noch Arbeitslosigkeit brauchen ihm Sorgen zu bereiten, und die Unterwerfung unter die Launen der Natur, die er für diejenigen des Marktes und der Konjunkturen eintauscht, ist eine solche, die das Menschentum nicht zu verbittern, sondern vielmehr zu veredeln pflegt. Seine Existenz ist, wie wir die Dinge auch drehen und wenden mögen, unter allen die menschlich befriedigendste, reichste und geschlossenste. 325
Insoweit ist es also nicht primär die Massenproduktion, die das Handwerk erdrückt, sondern die Vermassung des Verbrauchs, die erst die Massenproduktion möglich macht, und diese Vermassung des Verbrauchs ist in den einzelnen Ländern verschieden weit fortgeschritten, am weitesten wohl in Amerika. Sie geht Hand in Hand mit dem Schwinden traditioneller Lebensführung und ist damit ein Symptom der allgemeinen Gesellschaftskrise. 346
Es gibt in der Tat nicht viele Monopole in der Welt, die ohne ein vom Staat bewußt oder unbeabsichtigt geschaffenes Privileg oder ohne eine bestimmte Art der Gesetzgebung, Verwaltung, Rechtsprechung oder Finanzpolitik bestehen könnten […]. Ganz klar sind die Geburtshelferdienste des Staates in denjenigen Fällen, in denen das Monopol durch eine besondere privilegierende Charter ausdrücklich als solches verliehen worden ist, ein Verfahren, das gerade die europäische Frühgeschichte der Monopole kennzeichnet. Schon damals freilich erscheint die Monopolverleihung als Ausdruck der Staatsschwächung, da sich der Staat dadurch vielfach aus seiner Schuldennot zu befreien suchte, wie in Deutschland Maximilian I. durch seine Monopolverleihungen an die Fugger. Einem solchen Ursprunge verdanken sowohl die Bank von England (1694) wie zahlreiche der großen britischen Handelskompanien ihre Entstehung, und noch in unseren Tagen war es einem Ivar Kreuger möglich, schwache Staaten – unter ihnen sogar die Weimarer Republik – zu dem infamen Handel der Verleihung eines Zündholzmonopols gegen Übernahme von Staatsschulden zu bewegen. 368
Wir wissen heute, daß im Mittelalter bereits ein sehr intensiver großräumiger Wirtschaftsverkehr bestanden hat, so daß wir durchaus von einer mittelalterlichen Weltwirtschaft sprechen können, die keineswegs auf gewisse Luxusgüter beschränkt war. Dieses System ist nun zu Beginn der Neuzeit zusammengebrochen und im Zeitalter der Herausbildung der Nationalstaaten und der merkantilistischen Wirtschaftspolitik einer Stufe weniger differenzierter Wirtschaft gewichen. So wie die Weltwirtschaft des Altertums ist auch die Weltwirtschaft des Mittelalters zugleich mit dem sie tragenden politischen System zerbröckelt. 401
Civitas Humana, Grundfragen der Gesellschafts- und Wirtschaftsreform
In der Tat: eine freie, wesentlich auf Markt, Wettbewerb, Privatinitiative, freier Preisbildung und freier Konsumwahl beruhende Wirtschaftsverfassung ist auf die Dauer unmöglich in einer vermassten, kollektivierten, proletarisierten, entwurzelten, vital unbefriedigend und haltlos gewordenen Gesellschaft. Diese freie Marktwirtschaft kann ja in soziologisch-vital-moralischer Hinsicht einem Hohlraum verglichen werden, der daher um so stärkerer Randstützen bedarf, und gerade an der Vermorschung dieser Randstützen ist die liberale Wirtschaft der Vergangenheit mitsamt dem liberalen Gesellschaftssystem zugrunde gegangen. Daraus ergibt sich für das Heilungsprogramm zwingend der Schluß, daß eine Re-Integrierung der Marktwirtschaft und damit die Abwendung der Gefahr des Kollektivismus nur bei gleichzeitiger Entmassung, Deproletarisierung, Entkollektivierung, Verbäuerlichung, Verhandwerkerlichung und Dezentralisierung, kurzum bei einer Gesellschaftspolitik möglich ist, die auf eine größere Standfestigkeit des anthropologisch-soziologischen Rahmens gerichtet ist. 84
Jede hochstehende Kultur bedarf eines gesellschaftlichen und staatlichen Gehäuses, das den vor- und überstaatlichen Werten und Kräften die überragende und dirigierende Stellung sichert und den spontanen Äußerungen der Persönlichkeit die Möglichkeit der Entfaltung gibt. Neben und über dem Staate muß es immer eine Schicht von Menschen geben, die jene vor- und überstaatlichen Kräfte und Werte gegenüber der lauernden Tyrannis der Gesellschaft und der zur Schrankenlosigkeit neigenden Zwangsgewalt des Staates mutig, unbeirrt und unabhängig vertreten und eine lebendige Verkörperung des Satzes bilden, daß man zwar dem Kaiser geben soll, was des Kaisers ist, aber auch Gott, was Gottes ist. In ihnen muss die Gesellschaft über eine Instanz verfügen, die die unkorrumpierbare Wahrheit vertritt, auch wenn sie nicht mit dem Willen und der Meinung der Gewalthaber übereinstimmt, eine Gerechtigkeit, die höher ist als der Machtspruch der Obrigkeit, eine Menschlichkeit, die die kalte Staatsraison in ihre Schranken weist. Sie beschäftigen uns in diesem Buche immer wieder, und wir haben sie nach dem Vorbilde von Julien Benda die “clercs” genannt. Nun wird man aber gut daran tun, diesen Ehrentitel nicht zu engherzig zu verwenden und dabei nicht in erster Linie an einen abgegrenzten und zu einer Institution erstarrten Berufsstand als vielmehr an einen bestimmten Menschentypus zu denken, der sich durch Unbeugsamkeit, Verantwortungsgefühl, Wahrheitsdrang und Gerechtigkeitssinn auszeichnet. Er findet sich in allen Schichten und Berufen, am häufigsten jedoch unzweifelhaft in jener Schicht, deren Namen bereits die wesentlichen Eigenschaften des Maßes und des Gleichgewichts zum Ausdruck bringt, nämlich in der sogenannten Mittelschicht, die gerade über jenes Quantum an Eigentum verfügt, das ohne Entartung zur Plutokratie oder zum Feudalismus eine gewisse Unabhängigkeit sichert, und auf diesem gefestigten Untergrunde die geistig-moralische Kontinuität hütet. Das ist die Ursache, warum tiefblickende Denker (von Aristoteles bis zu Bryce und Mosca) immer darin einig gewesen sind, daß die Existenz einer breiten Mittelschicht eine der obersten Voraussetzungen für das Funktionieren einer gesunden Demokratie ist, und der Grund, warum eine wirkliche Demokratie in Ländern nicht recht gedeihen will, wo es an einer verantwortungsbewußten Mittelklasse fehlt, die mit ihrem geistig-moralischen und materiellen Eigengewicht den Staat ausbalanciert. Macht man sich das klar, so ermißt man die furchtbare Gefahr, die heute auch den noch gesunden Demokratien durch eine langsame Zerreibung der Mittelklasse droht, einen Prozeß, dem nicht nur zwei Weltkriege und ihre Folgen, sondern auch eine bestimmte Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik Vorschub leisten. Diese Mittelklasse nun, die – gleichweit entfernt von Proletarisierung und korrumpierendem Reichtum – Eigentum und Arbeitsamkeit, Sparsamkeit und Kulturpflege vereinigt und in einfach bleibenden Verhältnissen den eigentlichen Hort der geistig-moralischen Überlieferung darstellt, pflegt der Mutterboden zu sein, aus dem die eigentlichen und führenden “clercs” hervorgehen. Es sind diejenigen, die mit der inneren Autorität ihres überlegenen Verantwortungssinnes, Urteils und Wissens in einer gesunden Gesellschaft, wie auch immer ihre formal-rechtliche Struktur sein mag, eine überragende und als selbstverständlich anerkannte Stellung einnehmen müssen, eine Stellung, die durch eine ihrer wirklichen Bedeutung entsprechende Entschädigung eher geschwächt als gestärkt würde. Da sie das Höchste und Letzte zu vertreten haben, so werden wir sie zunächst in den Religionsvertretern zu suchen haben, die die höchsten Begriffe von ihrem Amt und ihrer Lehre haben, und wir wollen uns keinen Augenblick scheuen auszusprechen, woran alle Kritik an Kirche und Christentum nichts ändert: nämlich daß alles steht und fällt mit der Religion als der letzten Instanz und als demjenigen Gegengewicht der staatlichen Despotie, ohne das, wie wir sahen, alle andern wirkungslos werden. Man muss blind an der Zeitgeschichte vorbeigehen, wenn man die bedrohliche Entwicklung zum Kollektivismus nicht in die engste Beziehung zur allgemeinen religiösen Abstumpfung der breiten Schichten und nicht zuletzt der gebildeten Kreise bringen wollte. Man müßte wenig von den Lehren der Geschichte begriffen haben, wenn man übersehen wollte, daß alle Angriffe des Positivismus und Rationalismus in der Mehrzahl der Fälle nicht etwa zu einem noblen philosophischen Agnostizismus, sondern nur zu einem vulgären und die Menschen herabwürdigenden Materialismus geführt haben, der schließlich die nicht zu beschwichtigenden metaphysischen Bedürfnisse auf wüsten Aberglauben und auf die “verkappten” Religionen des Nationalismus, Kollektivismus oder Biologismus abdrängt. Suchen wir nach der Idealfigur eines solchen “clerc” im allereigentlichsten Sinne, so ersteht vor unseren Augen vielleicht die eindrucksvolle Gestalt eines St. Ambrosius, der in einem Augenblick, da die Herrschaft der Kirche noch alles andere als gefestigt war, die Unerschrockenheit besitzt, dem mächtigen Kaiser Theodosius am Eingang der Kirche zu Mailand entgegenzutreten und ihn zur öffentlichen Buße für das Massaker von Saloniki zu zwingen. Indessen hat die weitere Entwicklung dahin geführt, daß gegenüber diesen eigentlichen “clercs” ihre umfassendere weltliche Spielart immer mehr an Bedeutung gewinnt und uns in einzelnen aufs Geratewohl herausgegriffenen Gestalten mit symbolhafter Kraft entgegentritt: in einem Petrarca, der dem Kaiser Karl IV. Briefe von einem heute unerhörten Freimut schreibt, in einem Thomas Morus, der Heinrich VIII. in dessen Konflikt mit der Kurie bis zum Schafott trotzt, in einem Luther vor dem Reichstage zu Worms, in einem Spinoza, der eine Berufung an die Universität Heidelberg ausschlägt, um sich seine volle Unabhängigkeit zu bewahren, und es vorzieht, weiterhin sein Brot durch Brillenschleifen zu verdienen, oder in den “Göttinger Sieben”, die gegen den Verfassungsbruch des Königs Ernst August protestieren (1837) und dabei Amt und Heimat verlieren. 222ff
Hier wie überall gilt nun ferner, daß die Folgen einer materiellen Abhängigkeit und zugleich die Gefahren eines Übergewichts einer einzigen geistig-moralischen Richtung außerordentlich gemildert werden, wenn stärkster Nachdruck auf Dezentralisierung und Mannigfaltigkeit gelegt wird. Hierfür bieten ein gutes Beispiel die Universitäten, die ein um so größeres Maß von wissenschaftlicher Freiheit und Mannigfaltigkeit bieten können, je weniger sie der Staatszentrale unterworfen sind und je mehr sie von einem föderativen Charakter des Landes profitieren können. Was wäre aus den “Göttinger Sieben” geworden, wenn sich nicht die Könige von Preußen und Württemberg ein Vergnügen daraus gemacht hätten, ihren hannoverschen Vetter zu ärgern und die Verfemten an ihren Landesuniversitäten wiederanzustellen? Und was hat es nicht für die Freiheit des Geisteslebens in ganz Mitteleuropa bis vor kurzem bedeutet, daß nicht nur die Hochschulverwaltungen der deutschen Ländern, sondern zugleich auch diejenigen der Schweiz, der Tschechoslowakei und Österreichs den Gelehrten ein weites Feld und sozusagen jeder Nuance ein Asyl boten? Einheitsuniversität, Einheitsakademie, Einheitstheater, Einheitsverlag, Einheitszeitung, Einheitszeitschrift, das alles sind abscheuliche Dinge, gleich dem Einheitsstaate, dessen Geschöpfe und Werkzeuge sie sein würden, – im Gegensatz zur Buntscheckigkeit, Mannigfaltigkeit und Dezentralisierung, die auch das Reich des Geistes in sich ausbalanciert und vor Verklumpung bewahrt. Um so notwendiger ist es, ein wachsames Auge auf die geistigen Zentralisierungstendenzen unserer Zeit zu haben, Tendenzen, die vor allem durch die Erfindungen des Kinos und Radios mächtig gefördert werden, und alle auflockernden Tendenzen, alle Kompensationen und Ventile willkommen zu heißen. 227f
Gerade das, was den Bauern und den Handwerker ganz unabhängig vom materiellen Lebensstandard kennzeichnet, fehlt diesen Proletariern: die Unabhängigkeit und Autonomie der gesamten Existenz, die Verwurzelung in Heim, Besitz, Milieu, Familie und Beruf, der persönliche Charakter der Arbeit, die Tradition. So wird es uns klar, daß, was dem Proletarier mangelt, im Grunde eine Form der Existenz ist, die dem Menschen gemäß ist und uns jene Befriedigung gewährt, die wir dann empfinden, wenn wir unserer eigenen und uns kaum klar bewußten Natur entsprechend leben. Proletarisierung bedeutet, daß Menschen in eine gefährliche soziologische und anthropologische Lage geraten, die durch Eigentumslosigkeit, Mangel an Reserven aller Art (einschließlich der Bande der Familie und der Nachbarschaft), durch wirtschaftliche Abhängigkeit, Entwurzelung, Massenwohnquartiere, Militarisierung der Arbeit, Naturentfremdung und Mechanisierung der produktiven Tätigkeit gekennzeichnet ist, kurz durch eine allgemeine Devitalisierung und Depersonalisierung. Man empfindet das Leben in den kurzen Rhythmen der wöchentlichen Zahltage und hat eine Existenz auf sich zu nehmen, die von ihren natürlichen Ankern losgerissen ist, den Ankern des Eigentums, der vertrauten Gemeinschaft, der Natur, der Familie. Zugleich wird die Arbeit aus einem Zweck der inneren Lebenserfüllung ein bloßes Mittel, und die bei der Arbeit verbrachten Stunden werden zu einem reinen Passivum des Lebens, während sie normalerweise mit einem Aktivsaldo auf der Lebensbilanz abschließen. Um so stärker wird ein Ausgleich in der Konsumtion als Entschädigung für die innere Leere der Arbeit gesucht, aber nur zu oft besteht dieser Ausgleich in Vergnügungen und Zerstreuungen, die nicht minder mechanisiert und leer als die Arbeit selbst sind. Diese flottierenden Menschen – die modernen Nomaden – empfinden begreiflicherweise aufs intensivste den Wunsch nach etwas, was einer solchen Existenz in besonderem Maße fehlen muss: Sicherheit und Stabilität. Vermassung, Proletarisierung, Kollektivierung und Schwinden des Kleineigentums der Massen, die von den fast überall zusammenschmelzenden Mittelschichten fortgesetzt neuen Zugang erhalten, münden vereint in eine vom Staate verordnete, geleitete und immer stärker finanzierte Massenfürsorge aus und formen zusammen mit diesem Staate samt seinem Wohlfahrts- und Steuerapparat eine Gesellschaft, die die Individualität zugunsten der Kollektivität verdorren läßt und den Menschen schließlich zum Staatssklaven erniedrigt, wobei es sogar zweifelhaft ist, ob er ein wohlgefütterter sein wird. Diese über proletarisierte Massen triumphierende Kollektivität, die den einzelnen durch panem et circences an sich fesselt, verspricht eine Zukunft, die man sich kaum schwarz genug ausmalen kann, wenn man freie Menschlichkeit für das Letzte und Höchste hält und sich als ein selbstverständliches Ideal in diese “Brave New World” hinübergerettet hat. Aber das Schlimmste ist, daß der kollektivistische Massenstaat die Menschen schließlich soweit erniedrigt und entmenschlicht, daß sie sogar dieses Ideal vergessen und sich nicht einmal mehr den Bedingungen schlichten und echten Menschentums erinnern. Das besonders Unheimliche dieses ganzen Prozesses ist, daß er wie ein Brand immer weiter frißt: crescit eundo. Je weiter die Proletarisierung um sich greift, um so stürmischer wird das Begehren der Entwurzelten, sich Versorgung und wirtschaftliche Sicherheit von Staat und Gesellschaft garantieren zu lassen, um so mehr verkümmern die Reste der Selbstverantwortung, um so gewaltiger wird der vom Staate beanspruchte, dirigierte und umgeschichtete Teil des Nationaleinkommens, um so drückender die durch Kriege, Revolutionen und öffentliche Investitionen ohnehin schwer genug gewordene Steuerlast, die vor allem von den Mittelschichten getragen werden muß, um so mehr schmelzen diese zugunsten des Proletariats zusammen, um so kleiner wird die Zahl der Klein- und Mittelexistenzen, die auch dem Proletarier noch einen Ausweg gegenüber den beherrschenden Riesenunternehmungen bieten können, um so unaufhaltsamer die wirtschaftliche Konzentrationsbewegung mit ihren schließlich unlösbar werdenden ökonomischen, sozialen und menschlichen Problemen. Um so mehr stumpft der Sinn aller Menschen dagegen ab, daß all dies pathologisch und verhängnisvoll und – unnötig ist. 254ff
Maß und Mitte
Unsere moderne Welt ist unstreitig immer mehr zu einem riesenhaften Maskenfest der Ideologien geworden, auf dem niemand mehr recht weiß, was sich hinter der Wortvermummung in Wirklichkeit verbirgt. Und sehr tägliches Vokabularium ist in einem erschreckenden Umfange mit Ausdrücken wie “Demokratie”, “Reaktion”, “Kapitalismus”, “Sozialismus”, “Faschismus” und vielen anderen durchsetzt, die den Zweck der Sprache, nämlich die Verständigung der Menschen zur Übertragung präziser Vorstellungen, vereiteln. Es wäre sicherlich eine außerordentliche Wohltat für alle, die nichts zu verbergen haben, wenn einmal für ein ganzes Jahr dieser Mummenschanz suspendiert und so jedermann gezwungen würde, mit frischen und unverbrauchten Ausdrücken klar und einfach zu sagen, was er meint, wenn er mit den politischen Wortschöpfungen unserer Zeit hantiert. 9
Wir könnten in der Tat von Glück sagen, wenn sich herausstellen sollte, daß der Liberalismus kein völlig schuldloses Opfer der Gesellschaftskrisis geworden ist, daß er in wesentlichen Punkten geirrt hat und daß er durch Berichtigung seiner Irrtümer auf eine Überwindung seiner Krise hoffen darf. Steht es möglicherweise so, daß er, weit entfernt, ein bloßes Opfer der Gesellschaftskrisis zu sein, durch seine Irrtümer zu ihrer Entstehung beigetragen hat? Und, wenn das der Fall sein sollte und wenn die Krisis der modernen Gesellschaft gleichzeitig die Krisis des Liberalismus ist, dürfen wir dann nicht auch hoffen, durch eine Reinigung und innere Verjüngung des Liberalismus entscheidend zu einer Überwindung der Krisis der Gesellschaft im ganzen beizutragen? 14f[…] von Liberalismus in einem doppelten Sinne sprechen: einerseits in dem ganz breiten und allgemeinen Sinne einer Idee, die im Grunde das Wesen abendländische Kultur schlechthin ausmacht, andererseits in dem engeren und spezifischen Sinne einer geistigen, politischen und sozialen Bewegung des letzten Jahrhunderts, die aus jener allgemeinen Idee durch ganz bestimmte historische Zutaten hervorgegangen ist. In dem ersten Sinne sind wir alle Liberale, soweit wir die uns unersetzlich scheinenden Werte und Einrichtungen gegen jene zerstörenden Kräfte verteidigen, die wir als Kollektivismus, Totalitarismus oder National-Sozialismus bezeichnen können. Nehmen wir aber den zweiten Sinn des Wortes, so erhebt sich die Frage, ob noch irgendeiner von uns ein Liberaler sein kann. 15[Beim] Liberalismus im weiteren und höheren Sinne […] es sich um ein Erbgut handelt, das bis zum Ursprung unserer abendländischen Kultur zurückreicht. Nicht die Philosophen der Aufklärung haben die Grundlage geschaffen, sondern die jonischen Griechen, die Männer der Stoa, Cicero und alle jene anderen Denker der Antike, die die in der allgemein-menschlichen Vernunft und der Absolutheit der Einzelseele begründete Würde des Menschen, die Existenz eines Reiches der Ideen jenseits der Willkür der Menschen und die Unantastbarkeit von natürlichen Ordnungen vor und über dem Staate zu Leitsternen abendländischen Denkens gemacht haben. Was diese animae naturaliter Christianae begonnen, hat dann das Christentum vollendet und uns als das christliche Naturrecht überliefert. Erst das Christentum hat die revolutionäre Tat vollbracht, die Menschen als Kinder Gottes aus der Umklammerung des Staates zu lösen und, um mit Guglielmo Ferrero zu reden, den „esprit pharaonique“ des antiken Staates zu zertrümmern. 16
Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, aber Gott, was Gottes ist. Fügen wir alles hinzu, was das Christentum Gott anheim gibt, so drückt dieser Satz im Grunde das aus, was wir meinen, wenn wir von Liberalismus im allgemeinen und umfassenden Sinne sprechen. Wir haben es hier also ohne allen Zweifel mit dem vereinten Erbgut der Antike und des Christentums zu tun. Beide sind die eigentlichen Ahnen des Liberalismus, weil sie die Ahnen einer Sozialphilosophie sind, die das spannungsreiche Verhältnis zwischen Individuum und Staat nach den Postulaten einer jedem Menschen eingepflanzten Vernunft und der jeden Menschen als Zweck und nicht als Mittel zukommenden Würde regelt und so der Macht des Staates die Freiheitsrechte des einzelnen entgegengesetzt. In diesem Sinne darf man sich unterfangen, aus Ciceros Schriften, aus dem Corpus Juris und aus den “Summen” des Thomas von Aquino ein noch heute zu beherzigendes Kompendium des Liberalismus zusammenzustellen, und noch immer tritt uns diese ehrwürdige Erbmasse aus der naturrechtlichen Soziallehre der Kirche durch alle Brechungen hindurch entgegen. Nun liegt aber zweifellos in dieser Ideenwelt eine Kraft, die den Liberalismus in einem dialektischen Prozeß immer wieder über sich selbst hinaus zu treiben strebt. Diese Kraft ist der dem Liberalismus wesentliche Gedanke der Selbstbefreiung des Menschen durch den Appell an die Ratio: die Abwertung von Bindungen, die Emanzipation des Menschen und die Herstellung seiner Autonomie. […] Im christlichen Naturrecht ist diese emanzipatorische Kraft noch gebändigt, obwohl bereits in verschiedenen Richtungen der Scholastik rebellische Regungen nicht zu verkennen sind und uns gar ein Mann wie Abälard schon als Vorläufer eines Erasmus entgegentritt. Der Liberalismus erhält nun seinen modernen Zug im weiteren Verlaufe in dem Maße, wie er immer kühner, mit immer absoluterem Vertrauen in die Vernunft und mit immer ungeduldigerer Betonung der Individualrechte die Befreiung von Bindungen fordert, die von einer frei richtenden Vernunft verworfen werden. Je mehr er sich auf diesem Strome treiben läßt, um so mehr nähert er sich jenen gefährlichen Strudeln, die uns noch beschäftigen werden, – bis er schließlich von ihnen verschlungen wird. Diese bedenklichen Ausläufer der Entwicklung dürfen aber nicht zu der Täuschung verführen, als seien die Übertreibungen gerade das dem Liberalismus Wesentliche. Liberalismus ist – um das ganz deutlich zu sagen – in seinem Wesen nicht ein Abfall vom Christentum, sondern sein legitimes geistiges Kind, und nur eine außerordentliche Verkürzung der historischen Perspektiven kann zu der Verwechslung von Liberalismus und Libertinismus verleiten. Er verkörpert im Bereiche der Sozialphilosophie das Beste, was uns drei Jahrtausende abendländischen Denkens zu überliefern vermochten, Humanität, Naturrecht, Kultur der Persönlichkeit und universelle Weite, und wenn man nicht immer gewußt hat, wieviel von der Glaubenskraft des Christentums selbst noch in den Radikalsten der spätliberalen Kritiker und Rationalisten nachgewirkt hat, so sind wir Heutigen uns doch völlig darüber klar geworden. Aber der Liberalismus ist ebenso wenig ein starres Dogma. Er ist vielmehr eine immer rege Kraft, die das Abendland wieder und wieder vor der Erstarrung bewahrt und in immer wachsamer Entlarvung der Lüge und Vergewaltigung des Menschen für die Aufrechterhaltung jener Spannung zwischen Freiheit und Bindung gesorgt hat, die den Ruhm und die Gefahr unserer Zivilisation ausmacht. […] Was ist der Liberalismus? Er ist humanistisch: d. h. er geht von der zum Guten fähigen und erst in der Gemeinschaft sich erfüllenden Natur des Menschen, von seiner über seine materielle Existenz hinausweisenden Bestimmung und von der Achtung aus, die wir jedem als Menschen in seiner Einmaligkeit schuldig sind und die es verbietet, ihn zum bloßen Mittel zu erniedrigen. Er ist daher individualistisch oder, wenn man das lieber hört, personalistisch: d.h. entsprechend der christlichen Lehre, daß jede Menschenseele unmittelbar zu Gott ist und als ein abgeschlossenes Ganzes zu ihm eingeht, ist die einzelne menschliche Person das letztlich Wirkliche, nicht aber die Gesellschaft, so sehr auch der Mensch nur in der Gemeinschaft, in ihrem Dienste und möglicherweise in der Aufopferung für sie die ihm gesetzte Erfüllung finden kann. Der Liberalismus ist daher antiautoritär: d.h. bei aller Bereitschaft, dem Kaiser zu geben, was des Kaisers ist, hütet er sich klug vor jeder Gemeinschaftsromantik, die die staatliche Organisation zum Gegenstand eines mystischen Kultes, zu einer Art von Supraorganismus oder gar zum Gott macht, und ebenso widerstrebt er männlich dem Kaiser, wenn er mehr fordert, als was des Kaisers ist. Der Liberalismus ist daher universalistisch: d.h. indem er humanistisch, personalistisch und antiautoritär ist und den Menschen als solchen respektiert, während er sich vor der Vergottung des Staates hütet, widerstrebt er der Übersteigerung des Patriotismus zum Nationalismus und damit dem Machiavellismus und Imperialismus. Mit alledem ist er schließlich rationalistisch in dem zunächst noch nicht kritisch gemeinten Sinne, daß der Liberale als Humanist allen Menschen die nämliche Vernunft zuschreibt, als Personalist in ihr “des Menschen allerbeste Kraft” sieht, als antiautoritärer und universalistischer Sozialphilosoph aber die Vernunft zum Richter macht, vor dem sich die Torheiten, Lügen und Bosheiten der Menschen zu verantworten haben. 17ff
Damit ist aber auch das Verhältnis des Liberalen zur Demokratie näher bestimmt. Es ist ein solches enger Verwandtschaft, das aber nicht frei von Spannungen ist. Diese können sich zur offenen Gegnerschaft steigern, wenn – um mit Montesquieu zu reden – die Gefahr besteht, die Macht des Volkes mit seiner Freiheit zu verwechseln. Nicht als ob es nicht durchaus dem Wesen des Liberalen entsprechen würde, in der Zustimmung der Bürger die einzige legitime Quelle der Souveränität des Staates zu sehen und sich zu dem Satze Lincolns zu bekennen: No man is good enough to govern another man without that other’s consent. In diesem Sinne ist der Liberale auch zugleich Demokrat. Aber da er von der menschlichen Person und ihren Freiheitsrechten ausgeht, so liegt ihm nicht nur daran, wer der Träger der Macht ist, sondern auch daran, daß sie nicht zur Tyrannis wird. Gerade das aber fürchtet der Liberale von der Demokratie noch mehr als von jeder anderen Regierungsform, weil der Rausch der Massen und der mystische Glaube, daß das Volk sich selbst nicht knechten könne, leicht Bremsen ausschalten, die sonst wirksam wären, und einen solchen auf der bloßen Masse beruhenden Staat zum hemmungslosen Tyrannen im Inneren und zu einem herausfordernden Kriegshaufen nach außen machen können. 23
Dann kommen wir zu einem Relativismus der alle Werte und Normen in der Säure des nur noch sich selbst setzenden Verstandes auflöst, zu einem Materialismus, der vom „geistigen Überbau der materiellen Produktionsverhältnisse“ spricht, zu einem Psychologismus, der die Ideen als Schlammblasen des Trieblebens entlarven zu können meint, zu einem Positivismus, der am Recht, zu einem Ästhetizismus, der am objektiv Schönen, zu einem Pragmatismus, der am objektiv Guten und Bösen, zu einem Ideologismus, der am ideellen bezweifelt. Die gelangen dann zu einem Wirklichkeit fernen Intellektualismus, dessen innere Haltlosigkeit der entwurzelten Existenz des Intellektuellen selbst entspricht, zu einem von sozialen Ressentiments erfüllten Ideologismus, in dem ein bestimmter „Fortschrittsgeist“, ein politischer „Sinistrismo“ die Rückkehr zum Kommunismus schlägt, zu einem naiven Phraseologismus, der im bloßen Wort, in Verfassungen, in „Charters“, in Konferenzen, in Resolutionen, in wohl klingenden Formulierungen von „Menschenrechten“ eine Welt der Fiktionen errichtet, der schließlich die eine große Realität, auf die es ankommt, geopfert wird: die Freiheit. 27
Man kann sich sehr wohl eine liberale Gesellschaft vorstellen, die im wesentlichen aus selbstgenügsamen Bauern besteht und weder Effektenbörsen noch Banken noch auch Devisen kennt, und möglicherweise wäre das die beste von allen. 29
Im Gegensatz zum Nationalsozialismus ist der Kommunismus – durch den universell-rationalistischen, an die „linken“ Überlieferungen anknüpfenden Charakter seines Programms – nicht eine partikulare, sondern eine universalistische Pseudo-Religion. Er besitzt einen Pseudo-Koran. Er ist eine Art von atheistischem Islam, von dem ein verführerischer Appell an alle Unterdrückten, Unbefriedigten, Machthungrigen, Gescheiterten und „progressiven“ Intellektuellen ausgeht […]. 39f
Die totalitäre Tyrannis in ihren verschiedenen Formen ist soziologisch zu verstehen als die Antwort auf die Desintegration und Proletarisierung der modernen Welt und auf die damit zusammenhängende Verkümmerung des Menschen. 42f
Der Liberalismus […] wurzelt im geistigen Mutterboden des Rationalismus. Da der Liberale sich fortgesetzt im Bereich kühler Vernunft bewegt, so liegt für ihn die Gefahr nahe, auch bei seinen Gegnern Vernunftgründe als wesentliche Motive vorauszusetzen. Er ist daher geneigt, die Möglichkeit, politische Meinungsverschiedenheiten durch rationale Diskussion zu verringern, zu überschätzen, seinen Gegnern ausschließlich oder überwiegend geistige Irrtümer zuzuschreiben und die Bedeutung von Beweggründen, die nicht streng rational sind, zu unterschätzen. Motive und Triebkräfte, die dem Bereich der Gefühle, Leidenschaften, Glaubenssätze oder dem psychologischen Mechanismus des Unterbewußtseins angehören – das alles liegt dem verstandesgemäß geschulten Geiste fern. Aber es ist dieser Bereich den wir meinen, wenn wir von den »ideologischen« Wurzeln politischer Bewegungen sprechen. Es ist unbestreitbar, daß die Aufgabe, dieses im Dämmer liegende Feld mit den Instrumenten des Geistes selbst zu erforschen, von äußerster Dringlichkeit ist. 54f[Zum Begriff „romantisch“:] Es ist der Unterschied zwischen einer Haltung, die von dem Gefühl für das dem Menschen Gemäße, das Verankerte, natürlich Geordnete, die Überlieferung Fortbildende bestimmt wird, und einer Flucht vor der Gegenwart ins wirklich Unzeitgemäße, nicht mehr zu Erweckende, ins hoffnungslos Provinzielle und sentimental Unwahrhaftige. Dem frechen Grinsen setzen wir Erfurcht und Pietät entgegen, aber sogleich fügen wir hinzu: Erfurcht und Pietät sind nicht dasselbe wie Nekrophilie. 78[…] wenn Menschen lange genug in geistige und soziale Verhältnisse gestellt werden, die der menschlich gemäßen Norm nicht mehr entsprechen, ihr eigenes Normempfinden verbildet wird. Sie torkeln und verlieren ihren natürlichen Sinn für Richtung und Gleichgewicht. Es tritt eine Gewöhnung ein, die ihre normalen Reaktionen abstumpft und ihnen das dem Menschen Feindliche als eine neue Form vorspiegelt, während sie die echte Norm mit dem Makel des “Romantischen” und “Rückständigen” befleckt. Dann erfaßt uns der Wirbel einer Wechselwirkung, in dem der Prozeß der Denaturierung der Kultur ungebremst sich beschleunigt, begleitet von den Segenssprüchen der Intellektuellen, während die warnenden Stimmen immer unhörbarer werden. 81
Wenn wir heute auf die berühmte Frage Chestertons „What is wrong with the world?“ eine zeitgemäße Antwort versuchen, so werden wir auf viele schlimme Dinge den Finger legen müssen. Leichter ist es, zu sagen, was in der Welt noch einigermaßen in Ordnung ist, weil ja eigentlich so gut wie alles auf dem Kopf steht und auf eine Gesamtkrise aller menschlichen Beziehungen deutet, die in der Weltgeschichte ihresgleichen sucht und in den Augen philosophischer Menschen durch so hinreißende Erfindungen wie die der Zertrümmerung der Atome nur unzureichend gemindert wird. Wenn man nun unter den Hauptzügen dieser Kulturkrise einen einzigen hervorheben will, so sollte es auffallen, wie sehr unsere Epoche dadurch gekennzeichnet ist, daß die Menschen sich keine Zeit mehr lassen, ruhig darüber nachzudenken, was sie denn eigentlich tun. “Irgend etwas muß geschehen, einerlei was”, scheint zum Motto geworden zu sein, und man hastet von einer Sache zur anderen. Schlimmer noch: man nimmt den Schein für die Wirklichkeit, man betrügt sich und andere mit Phrasen und Attrappen, man will den Dingen nicht auf den Grund gehen, man agiert fieberhaft „ut aliquid fieri videatur“, man stellt eine Frage nach der anderen und wartet gar nicht mehr die Antworten ab, oder man antwortet, ohne vorher richtig gefragt zu haben. Man lebt von der Hand in den Mund, in Gedanken und im politischen Handeln. Man verlernt es, prinzipiell zu denken, und so haben denn die wenigsten noch eine wirkliche Philosophie, die die Dinge fest an den ihnen zukommenden Platz stellt und das Wesentliche vom Unwesentlichen scheidet. Man weiß gar nicht mehr, was man eigentlich will oder wollen sollte, oder man will gleichzeitig Dinge, die völlig unvereinbar miteinander sind […]. 86[…] der Nationalsozialismus einstweilen neben dem Bolschewismus das einzige Beispiel eines wirklich umfassenden Kollektivismus gewesen ist, der in Friedenszeiten eine Zeit lang funktioniert hat, so wie er – was immer wieder vergessen wird – das bisher einzige Beispiel einer den Keynes’schen Rezepten folgenden konsequenten Politik der “Vollbeschäftigung” in Friedenszeiten gewesen ist, – mit welchem Ende und zu welchem furchtbaren politisch-kulturellen Preise in beiden Fällen, brauchen wir nicht mehr zu sagen. 92
Sollen die Lebensmittel erzeugt und auf den Markt gebracht werden, weil der Bauer es lohnend findet, oder deshalb, weil sonst ein Polizist kommt und ihn abholt? 93[…] daß der Kollektivismus ein Maß an Domestikationsfähigkeit der Menschen voraussetzt, das offenbar nur bei wenigen Völkern zu finden ist und selbst dort nicht lange vorhält. Jedenfalls fehlt dieses Maß z.B. bei den Mittelmeervölkern in einem solchen Grade, daß sie uns wie Wildpferde vorkommen, die sich das Zaumzeug der Staatsbürokratie nicht anlegen lassen. Die Regierung handelt nur weise, wenn sie, wie die italienische, schließlich auf einen solchen Versuch verzichtet, während das Beispiel Frankreichs oder Spaniens bewiesen hat, daß man nur Unheil anrichtet, wenn man doktrinär darauf besteht. 96f
Der Liberalismus – das ist im praktischen Kampfe eine seiner großen Schwächen – ist keine Lehre, die Macht, Einfluß und Posten verspricht, sondern umgekehrt eine solche, die darauf zielt, die Macht durch Dezentralisation und Diffusion unschädlich zu machen. Er empfiehlt kein Wirtschaftssystem, das den Intellektuellen Stellen in Hülle und Fülle beschert. Der Kollektivismus aber ist eine Macht und Stellen schaffende Ideologie, wie die Weltgeschichte nicht ihresgleichen kennt. 129
„Neo-Liberalismus“: Gemessen an dem heute überall vorherrschenden Zustand ist diese Renaissance des Liberalismus eine radikale zu nennen. Es ist begreiflich, daß eine solche Gegenoffensive eines Gegners, der bereits kapituliert zu haben schien, viele Sozialisten verblüfft und erbittert. Sie haben Mühe, sich mit dieser Verschiebung der Diskussion abzufinden. Da man aber seinen Gegner niemals unterschätzen soll, so wäre es besser, wenn sie das überaus schwere Gewicht der Gründe anerkennen würden, mit denen der Liberalismus heute zu Felde zieht. Und doch handelt es sich um mehr als um eine bloße Renaissance des Liberalismus […]. 141
Worin besteht nun diese neue Note? Hier springt zunächst in die Augen die den meisten neuen Formulierungen des Liberalismus gemeinsame Tendenz, zwei Dinge miteinander zu vereinen: das Vertrauen auf die Freiheit der Märkte und die Einsicht, daß diese Freiheit einer umfassenden Politik bedarf, die das Feld der wirtschaftlichen Freiheit wie ein Spielfeld streng absteckt, ihre Bedingungen – sozusagen die Spielregeln – sorgfältig bestimmt und mit unparteiischer Strenge für die Respektierung dieses Rahmens der Marktwirtschaft (des Spielfeldes wie der Spielregeln) sorgt. Freiheit und Bindung werden derart zu einer Synthese verbunden, daß man den sozialen Ort zu bestimmen sucht, der für das eine und für das andere Prinzip gilt. Im Vertrauen in die ordnende Kraft des freien Wettbewerbes und der freien Preise tritt das Mißtrauen gegenüber den Kräften zur Seite, die diese Freiheit aufzuheben oder soweit zu stören suchen, daß die Ordnung zu Unordnung wird. Daraus erwächst die Erkenntnis, daß die freie Marktwirtschaft eine ständig neu zu lösende Aufgabe wachsamer und der Schwierigkeit bewußter Politik ist, nicht aber etwas was nach der bloßen Wegräumung von Hindernissen sich selbst überlassen werden dürfte. Diese Aufgabe setzt aber nicht einen Nachtwächterstaat, sondern einen ebenso unabhängigen wie starken Staat, un gouvernement qui gouverne, voraus. Aber unabhängig und stark kann nur ein Staat sein, der sich auf die wesentlichen Aufgaben konzentriert, statt sich überall einzumischen, und nicht zum Clearinghaus von Interessenten, einschließlich der Gewerkschaften, wird. Um bei unserem Bilde zu bleiben: Der Staat soll sich auf die Rolle des Spielleiters und Schiedsrichters beschränken und die volle Autorität genießen, aber er soll nicht gleichzeitig Fußball spielen. Mit anderen Worten: die Marktwirtschaft wird nach dieser neuen Konzeption zu einem Objekt ständiger aktiver Politik. Das gibt den Vertretern des neuen Liberalismus das Recht, sich gegen eine Verwechslung mit einer längst toten Philosophie des Laisser-faire zu verwahren. Sie sprechen hier von einem historischen Liberalismus des 19. Jahrhunderts und legen sich in seiner Kritik keine Reserven auf. Sie erkennen, daß die Entschiedenheit, mit der die Verwirklichung der Freiheit auf dem Markte selbst gefordert wird, ihr Gegengewicht in der gleichen Entschiedenheit finden muß, mit der für einen festen politisch-rechtlich-moralisch-institutionellen Rahmen des Marktverkehrs zu sorgen ist. Man weiß, daß die Freiheit mißbraucht werden kann zur Aufhebung der Freiheit, zur Verfälschung des Wettbewerbs, zur Schaffung von Machtstellungen und zur Begründung von Monopolen einschließlich der monopolistischen Stellung von Gewerkschaften, die deshalb so gefährlich ist, weil die Gewerkschaften mit dem ganzen Pathos des sozial und politisch Tugendhaften auftreten, – so gefährlich in der Tat, daß bereits ein gewisser Mut dazugehört, freimütig davon zu sprechen. […] Daher nimmt im Programm der Neoliberalen der Kampf gegen die wirtschaftlichen Machtstellungen eine hervorragende Stelle ein, nicht nur aus Gründen der sozialen Gerechtigkeit, der politischen Gesundheit und des gesellschaftlichen Gleichgewichts, sondern auch aus Sorge um die technische Funktionsfähigkeit der Marktwirtschaft und um die Erhaltung ihres eigentlichen Sinnes als einer im Dienste des Konsumenten stehenden Wirtschaftsordnung. 142f
Was diese Gruppe vor allem auszeichnet, ist eine fundamentale Gesellschafts- und Kulturkritik, die zugleich mit dem Sozialismus einen Liberalismus alten Stils trifft, der für die tiefen geistigen und sozialen Schäden unserer Großstadt- und Industriezivilisation blind ist. 152
Wie sehr wir uns mit einer solchen umfassenden Gesellschafts- und Kulturkritik vom hergebrachten Liberalismus engeren Sinnes entfernen, ergibt sich nicht zuletzt daraus, daß wir uns damit religiös-konservativen Strömungen nähern, die sich philosophisch-politisch alles andere denn als “liberal” empfinden. Aus einer solchen Kulturkritik ergibt sich als ein neues Element das Eintreten für etwas, was man die “natürliche Ordnung” nennen kann, d.h. für die Schaffung von Existenz- und Produktionsformen, die der Natur des Menschen gemäßer sind als diejenigen der heutigen Industrie- und Großstadtwelt und ihn zugleich der ihm fremd gewordenen Natur wieder näher bringen. Wir wiederholen an dieser Stelle, daß sich die schlimmsten Schäden unserer Gesellschaft in irgendeiner Weise als eine Konzentration – Konzentration der Macht, des Eigentums, der Menschen, der Produktion, der Verwaltung, der politischen Herrschaft – diagnostizieren lassen. Dann aber ergibt sich eine Politik der Dezentralisation in allen Bereichen als die folgerichtige Therapie. Dieser Ruf nach Dezentralisation ist so wesentlich für einen echten und in einer zeitlos gültigen Weise definierten Liberalismus, daß es mir als kein schlechter Gedanke erschienen ist, statt von Liberalismus von Dezentralismus zu sprechen […]. Dieser Ruf nach der natürlichen Ordnung ist ein Protest gegen die Unnatur unseres gesamten Lebens. Um sie zu überwinden, streben wir nach Entproletarisierung und möglichst breiter Verteilung des Eigentums, nach dem Kleinen und Mittleren, nach dem Bäuerlichen und Handwerklichen, nach dem Garten, nach dem Herd des eigenen, wenn auch noch so bescheidenen Hauses, nach Nachbarschaft und Familiengemeinschaft, nach Besinnung auf die echten und dauernden Werte des so oberflächlich gewordenen modernen Lebens. 152f
Man weist mit Entrüstung hin auf die Unnatur, Häßlichkeit und Sinnlosigkeit unserer Großstädte, Industriereviere und Proletarierviertel, und man hat vollkommen recht. Man macht dafür eine Philosophie und eine Auffassung der Wirtschaftsfreiheit verantwortlich, die man als “Liberalismus des 19. Jahrhunderts” bezeichnen kann, und man hat abermals recht. Man faßt das alles unter dem Schlagwort “Kapitalismus” zusammen, und man tut bereits etwas sehr Bedenkliches. Man zieht daraus den Schluß, daß, wenn der “Kapitalismus” der Bösewicht ist, der “Sozialismus” die Rettung ist, – und man hat alles verdorben. Gerade das ist der Fehler, den so viele Freunde der “natürlichen Ordnung” begehen. Sie haben nicht verstanden, daß wir, wenn wir den Menschen, das Leben und die Natur wieder in ihre Rechte einsetzen wollen, die Kritik an der Mechanisierung und Devitalisierung unserer Kultur mit der Achtung vor der Freiheit und der Natürlichkeit der Marktwirtschaft verbinden müssen, mit anderen Worten, daß wir die wirtschaftliche Ordnungsfrage von den übrigen genannten Fragen scharf trennen müssen. Sonst läuft man Gefahr, mit Reformen zu flirten, die der anderen “natürlichen Ordnung”, nämlich der Ordnung des durch freie Preise geräuschlos und selbsttätig gelenkten Wirtschaftslebens, Gewalt antun, und schließlich den Teufel der Unnatur zur Hintertür wieder hereinlassen. […] Das Motto muß sozusagen lauten: Wirtschaftsfreiheit auf dem festen Grunde des Masseneigentums, des Eigenheims, der eigenen Werkstatt und des eigenen Gartens. 154
Wir erkennen dann auch, wie unzureichend, ja geradezu irreführend solche Formeln wie “Free Enterprise” oder “Neoliberalismus” sind. Es handelt sich ja nicht bloß um das Problem der Freiheit, sondern zugleich um das der Ordnung, der echten Gemeinschaft, der Standfestigkeit der Einzelexistenz, der Rückkehr zum Maßvollen, Proportionierten, Naturgemäßen. 157
Nun kommen wir der richtigen Auffassung vielleicht am nächsten, wenn wir “Proletarier” einen Menschen nennen, der in einem ständigen Lohnarbeitsverhältnis kurzfristiger Art steht, von dem daraus fließenden Geldeinkommen abhängig ist und im wesentlichen der Existenzstütze beraubt ist, die wir als wirtschaftliche und soziologische Reserven bezeichnen. Ohne wirtschaftliche und soziologische Reserven: das soll heißen, daß er ohne nennenswertes Eigentum ist und weder Ersparnisse, die ihm eine gewisse Unabhängigkeit geben und auf die er zurückgreifen könnte, noch den wirtschaftlichen oder moralischen Rückhalt besitzt, den die Familie, nachbarschaftliche Gemeinschaft oder die Solidarität von Berufs- oder Ideengenossen gewähren. […] Das alles zusammengenommen ergibt eine Existenz, die durch dreierlei charakterisiert ist: durch Diskontinuität, Fremdgesetzlichkeit und Beliebigkeit. […] Damit ist eine Existenz bezeichnet, die nur als eine Kümmerform des Lebens charakterisiert werden kann. 162f
Diese Kümmerform ist nun zum Schicksal von Millionen und Abermillionen auf der Erde geworden; mit der Ausbreitung der westlichen Zivilisation und mit der sie begleitenden Zerstörung des festen Sozialgewebes werden immer neue Millionen in dieses Schicksal hineingerissen. […] Jeder Selbständige, jeder Handwerker, Gewerbetreibende, Händler, Bauer, Unternehmer, Arzt oder wer es auch sonst sei, der verschwindet, bedeutet einen weiteren Schritt zur Proletarisierung der Gesellschaft und zugleich zum Triumph des Kollektivismus. 164
Das besondere Unglück ist nun, daß, sobald die Proletarisierung einer Gesellschaft einen bestimmten Punkt erreicht hat, der Prozeß als eine Art von Kettenreaktion immer schneller vor sich geht und immer schwerer aufzuhalten ist. […] Wenn wir nämlich dem Proletarier keinen echten Wandel seiner Arbeits- und Existenzform anbieten und ihn nicht aus seinem Proletariertum wirklich befreien, so ist es nur natürlich, daß er mit äußerster Schärfe die Unsicherheit seiner wurzel- und reservenlosen Existenz empfindet und immer dringender einen Ausgleich in derjenigen Form fordert, die ihm unter diesen Umständen allein noch sichtbar zu sein pflegt: in der Form der mechanisierten Massenfürsorge, der Einkommensnivellierung durch Besteuerung, der höchstmöglichen Löhne und der kürzestmöglichen Arbeitszeit, der längstmöglichen Ferien und der rücksichtslosen Ausnutzung der Macht der nackten Zahl. 165
Das Schlußresultat besteht darin, daß in einer solchen Proletarisierung der Gesellschaft immer mehr Menschen der mehr oder weniger ausreichenden “Stallfütterung” durch den Staat anheim fallen, zu Hintersassen der Regierung werden. Panem et circenses: schon einmal hat die Weltgeschichte einen ähnlichen Vorgang erlebt. 167
Wir haben von der Xenophobie als einer der wesentlichen Leidenschaften der modernen Massen gesprochen. Diese Massenleidenschaft hat sich nun in unserer Generation mit sozialpolitischen Erwägungen verbunden, um überall eine Fremden- und Einwanderungsgesetzgebung hervorzubringen, die dazu geführt hat, daß, während auf der einen Seite ganze Völker und Rassen wie Vieh verfrachtet werden, freiwillige internationale Wanderungen zu feierlichen Ausnahmen geworden sind und man in vielen Ländern kaum noch Straßenfeger werden kann, ohne den rechten Paß zu besitzen. Diese noch vor einer Generation unbekannten Drahtverhaue sind an den nationalen Grenzen überall unter dem entscheidenden Druck der organisierten Massen errichtet worden. 248
Wir müssen uns eindringlich klarmachen, was es heißt, daß der Staat mit einer Unersättlichkeit und einer Absicht, die man als Fiskalsozialismus zusammenfassen kann, nahezu die Hälfte des Nationalproduktes in Anspruch nimmt und in diesem Maße zum Transformator von Einkommen und Vermögen, einer Art von zentraler Pumpstation des Wirtschaftslebens, geworden ist. 249f
Die Nation wird jetzt zu einem Versicherungsverein und einer Wohlfahrtkasse auf Gegenseitigkeit mit dem Paß als eine Art von Versicherungspolice und mit der begreiflichen Neigung aller „panem et circenses“ Rufenden, Eindringlinge von den Sitzreihen fernzuhalten. 250
Jenseits von Angebot und Nachfrage
Jeder Versuch also, eine Wirtschaftsordnung auf eine Moral zu gründen, die wesentlich höher ist als die durchschnittliche und dem Menschen gemäße, muß auf Zwang und organisierte Massenberauschung durch die Lüge der Propaganda zurückgreifen. 165
Selbstdisziplin, Gerechtigkeitssinn, Ehrlichkeit, Fairness, Ritterlichkeit, Maßhalten, Gemeinsinn, Achtung vor der Menschenwürde des anderen, feste sittliche Normen – das alles sind Dinge, die die Menschen bereits mitbringen müssen, wenn sie auf den Markt gehen und sich im Wettbewerb miteinander messen. Sie sind die unentbehrlichen Stützen, die beide vor Entartung bewahren. […] Familie, Kirche, echte Gemeinschaft und Überlieferung müssen sie damit ausstatten. Die Menschen müssen auch unter Bedingungen aufwachsen, die solche moralischen Überzeugungen begünstigen, Bedingungen einer natürlichen, die Zusammenarbeit fördernden, die Überlieferung achtenden und den einzelnen einbettenden Ordnung. 170
Wirrnis und Wahrheit. Ausgewählte Aufsätze
Das Herdfeuer der Freiheit darf nicht zur Feuersbrunst werden. Freiheit ist, woran man leider erinnern muß, ein moralischer Begriff allerhöchster Ordnung, und es kann keinen schlimmeren Missbrauch der Freiheit geben als ihre Umdeutung in ein beliebiges Tun- und Lassen-Können, in eine Lösung von allen Bindungen und Schranken. Sie ist undenkbar ohne die moralischen Regeln, denen wir uns verpflichtet fühlen. Freiheit ohne Normen, ohne Selbstdisziplin der einzelnen und der Gruppen der Gesellschaft muß in furchtbare Unfreiheit umschlagen. 8
EWG im Zwielicht. Wirtschaftsorganisatorische Konstruktionen führen noch nicht zur politischen Einigung Europas
So wird die EWG, so fürchten wir, deren warnende Stimme kaum noch vernehmbar ist, möglicherweise zu einem Triumph einer rein quantitativen Kultur in Europa, zu einem Verrat am geistig-moralischen Erbgut, mit dem Europa als etwas Verteidigungswürdiges steht und fällt, zu einem Gipfel des Materialismus und Organisationskultes unserer Zeit. Es ist ein jakobinisches, zentralisiertes, bürokratisiertes und saint-simonistisches Europa, das man uns beschert, und daß so viele, denen das an sich zuwider sein müßte, das nicht erkennen oder nicht zugeben, gehört zum Bedrückendsten dieses bedrückenden Schauspiels. Ich selber bin es müde, von diesen Dingen zu reden, weil der Lärm der modernen Zeit so viele Seelen dagegen taub gemacht zu haben scheint. Wenn die Menschen nichts anderes mehr hören und lesen, als was ihnen eine ungeheure Propagandamaschine Tag für Tag suggeriert, und nicht sehen, wie sie alle in die von Brüssel gerührte Knetmaschine geraten, die Europa in einen Riesenbrei zu verwandeln droht, so wird unsereiner zu einem Prediger in der Wüste. 246[…] wird hier [bei der Landwirtschaft] eine Integration innerhalb der EWG nur um den Preis einer um so stärkeren Abschließung nach außen, d. h nur so zu verwirklichen sein, daß das protektionistisch-dirigistische Prinzip der nationalen Agrarpolitik auf die höhere EWG-Ebene übertragen wird. Mit einer geradezu zwingenden Logik wird sich hier also die Tendenz einer Agrarautarkie des EWG-Großraums durchsetzen, allen Beteuerungen zum Trotz. […] Da eine Agrarintegration eine Vereinheitlichung der Agrarpreise voraussetzt, es aber völlig unrealistisch ist, anzunehmen, daß man sich anders als auf einem Preisniveau wird einigen können, das dem jeweils höchsten näher liegt als dem jeweils niedrigsten, so ist damit zu rechnen, daß im Endergebnis eine Stimulierung der landwirtschaftlichen Produktion der EWG eintritt. Das gilt vor allem für Frankreich, das schon jetzt mit Überschußproblemen zu kämpfen hat und dabei noch einen weiten Spielraum der Produktionssteigerung besitzt. 250
Die Schweiz und die Integration des Westens
„Nun erscheint es als eine besondere und für die Schweiz bittere Ironie, dass es gerade dieses Land ist, das durch eine der europäischen Wirtschaftsintegration gewidmete Bewegung in solche Schwierigkeiten geraten ist […]. Die Schweiz war das einzige Land, das in Europa nach dem Kriege an den Prinzipien der Marktwirtschaft, der monetären Disziplin und der internationalen Zahlungs- und Handelsfreiheit festgehalten hatte. […] Sie hatte das Herdfeuer freier und nichtinflationärer Wirtschaft unter der Asche des Krieges lebendig erhalten. […] Ohne diese Treue der Schweiz zu ihren überlieferten Grundsätzen […] ist die wirtschaftliche Gesundung und Krafterhaltung Europas nicht vorzustellen.“ Daher sei es paradox, dass gerade dieses Land „vor schwere Probleme gestellt wird und als Aussenseiter gilt“. Man müsse die Frage stellen, ob es nicht von Anfang an gegen die europäische Integration spreche, dass sie „mit dem Wesen und den Grundsätzen der Schweiz“ nur schwer vereinbar sei. Die damalige EWG drohe zu einem „Instrument der Einwalzung alles Verschiedenen, Mannigfaltigen und Selbständigen“ zu werden, „zu einer Maschine der Zentralisierung, zu einem Kult des Kolossalen und technisch Perfektionierten, zu einem technisch-organisatorischen Selbstzweck, wo die Frage ‚wozu das alles?‘ ins Leere stösst“.