Der bedeutende österreichische Historiker und seine tiefgreifenden,
akribischen Forschungen zur politischen Geschichte des Mittelalters.
OTTO BRUNNER (geb. 1898 in Mödling, gest. 1982 in Hamburg)
Ausgewählte Werke:
- Land und Herrschaft. Grundfragen der territorialen Verfassungsgeschichte Südostdeutschlands im Mittelalter. Baden bei Wien: Rohrer, 1939
- Adeliges Landleben und europäischer Geist. Leben und Werk Wolf Helmhards von Hohberg 1612-1688. Salzburg: Otto Müller, 1949
Land und Herrschaft
Friede gehört etymologisch zusammen mit Freund und frei. Friede ist der Zustand eines menschlichen Verbandes, dessen Glieder untereinander „Freunde“ und gegenüber der Außenwelt „frei“ sind. Friede ist der Zustand, der zwischen Freunden besteht. Doch ist der ursprüngliche Sinn des Wortes nicht wie heute wesentlich negativ, Ausschaltung der Feindschaft, sondern er hat eine aktive Bedeutung. Er schließt den Begriff des Schutzes in sich, der Sicherheit, die die Freunde einander gewähren, der Hilfe und des Beistandes, zu denen sie einander verpflichtet sind. […] Friede ist seelische Beziehung zwischen den in Liebe verbundenen Verwandten, Friede einigt die durch diese seelische Haltung verbundene Gruppe der Familie, der Sippe, der „Freundschaft“. „Friede“ ist der Zustand des ungekränkten, ungebrochenen Rechts. Aber nicht nur dies allein. Denn Freundschaft ist darüber hinaus seelische Bindung. Darum kann Freundschaft, Minne auch in Gegensatz zum Recht gestellt werden, so in der Formel „mit Minne oder mit Recht“, das heißt im Wege der Güte oder des Rechtsstreites. 23f
Die civitas, der Stamm, das Land sind ein Verband wehrhafter Männer bäuerlicher oder adeliger Art, die sich selbst im Kampfe Recht zu schaffen wissen. Denn Kampf ist hier jede Verfolgung des Rechts, sei es in der Fehde, sei es im Gericht. Der Rechtsbrecher, der eine Missetat begeht, wird zum „Feind“ der Gesamtheit oder des Einzelnen, dessen Recht er verletzt. Wer gegen die Grundgesetze der Gesamtheit verstößt, verliert entweder durch die Tat selbst oder durch feierlichen Beschluß den Frieden und dessen Schutz; er wird friedlos, geächtet, zum Feind, zum „vargr“, zum Wolf, wie fränkische und nordische Quellen sagen, zum reißenden Tier, der nicht anders behandelt wird. Wie dieser gefährlichste Gegner des Menschen. Er kann straflos getötet werden. Ergriffen, wird er ursprünglich den Göttern geopfert in Formen, die sich in den Formen der Todesstrafen bis weit in die Neuzeit erhalten haben. Nicht anders aber wird der auswärtige Landesfeind behandelt; auch der Kriegsgefangene kann den Göttern dargebracht werden. Weit ins Mittelalter hinein findet sich trotz der mildernden Wirkung der Friedensgemeinschaft der Christenheit und der ständischen Formen der ritterlichen Kriegerschichten die Möglichkeit, Gefangene als Landesfeinde zu richten, wenn sie als „Feinde“ in die Hand des Gegners gerieten, sich auf Gnade und Ungnade ergeben mußten. Wie der Rechtsbrecher, der „Missetäter“ zum Feind der Gesamtheit wird, so ist der Feind im völkerrechtlichen Sinn Brecher des Landfriedens und daher friedlos. 35f
Erste und grundlegende Voraussetzung zur Führung einer rechten Fehde ist das Vorhandensein eines rechtlichen Grundes. Fehde, Feindschaft ist ja Kampf ums Recht, zielt auf Rache, auf Wiedergutmachung des gekränkten Rechtes. Fehlt ein solcher Grund, dann handelt es sich nicht um rechte, sondern um unrechte, „mutwillige“ Fehde, um „Raub“, „iniustum bellum“, „tyrannis“. 47
Es gibt nicht nur ein Recht, sondern unter bestimmten Umständen auch eine Pflicht zur Fehde. Wer sein Recht, sei es vor Gericht, sei es in privatem schiedsrichterlichem Auftrag nicht zu erhalten vermag, würde mit seinem Recht, das er sich widerstandslos nehmen läßt, auch auf seine Ehre verzichten. Denn Ehre (Honos) und subjektiver Rechtsanspruch fallen im mittelalterlichen Denken in eins. 55
Innerhalb von Dorf, Stadt und Land schützt den Befehdeten sein Haus oder seine Burg. Es ist dem Gegner landrechtlich verboten, in diesen Friedensbezirk einzudringen. Tut er es doch, so begeht er die Missetat der Heimsuchung. […] Das Wesen der Fehdeführung ist „Schadentrachten“, „Raub und Brand“, Schädigung und Vernichtung der gegnerischen Fahrhabe. Ausgenommen von der Fehde ist des Gegners Erbe und Eigen, sein liegendes Gut, das er in rechter Gewere hat. Wer in der Fehde die Gewere des Gegners angreift, übt nicht mehr Fehde, sondern „Entwerung“, „gewalt ân recht“. Damit wird er landrechtlich zum Friedensbrecher und zum Feind des Landes. 108
Wir wissen heute, daß die „Allgemeine Staatslehre“ des 19. Jahrhunderts ihre Begriffe am Modell des monarchisch-liberalen Staates ihrer Zeit gebildet hat und die Gegenüberstellung von „Staat“ und „Gesellschaft“ voraussetzt. So erscheint bewußt oder unbewußt als Idealtypus der Verfassung die „Konstitution“ des 19. Jahrhunderts, der bürgerliche ‚Rechtsstaat“, der wieder nur im Rahmen des bureaukratisch-militärischen Staates, den der Absolutismus geschaffen hat, denkbar ist. In dieses Prokrustesbett wird der mittelalterliche Staat hineingezwängt, und, was nicht hineingehen will, als „Anarchie“, „Chaos“, als „merkwürdig“ und „sonderbar“ beiseitegeschoben. Der Staat als Machtapparat des Fürsten, dann als „juristische Person“ ist es, der uns in der neueren Staatslehre entgegentritt. […] Demgegenüber ist die Scheidung zwischen dem „Staat“ seit dem Absolutismus und dem älteren Begriff der Respublica, des Gemeinwesens, festzuhalten, der in der ganzen älteren Denktradition bis an die Wende vom18. zum 19. Jahrhundert gegeben ist und der etwa in der katholischen Staatslehre, soweit sie ihre ursprünglichen antiken Grundlagen festhält, auch heute noch fortlebt. […] Erst nach der Mitte des 18. Jahrhunderts beginnen sich allmählich Staat und bürgerliche Gesellschaft als eigengesetzliche Organisationsformen zu sondern und die Lehre vom Gemeinwesen, der Respublica (Polis), die Politik, der bisher die Ökonomik als umfassende Lehre vom Hause zur Seite gestanden hatte, wird in die Zweiheit Staatslehre und Gesellschaftslehre (Soziologie) geschieden, neben denen gleichzeitig die politische Ökonomie, Volkswirtschaftslehre, als Lehre vom Markt im Staatsraum, nicht vom Hause, entsteht. Dieser Prozeß wurde erst um die Mitte des 19. Jahrhunderts abgeschlossen, da endgültig Staat und Gesellschaft als verschiedene Gegenstände erfaßt und zum Objekt besonderer Wissenschaften gemacht werden. Damit beginnt aber auch der Zerfall in eine große Zahl unzusammenhängender Einzeldisziplinen, ein positivistisches „Trennungsdenken“ setzt sich durch; zwischen den scheinbar autonomen Fachwissenschaften beginnt ein chaotischer Kampf um den Vorrang, der das Ringen der politischen Mächte des 19. Jahrhunderts widerspiegelt. Durch die grundlegende Trennung von Staat und Gesellschaft wird der Staat zur „juristischen Form und normativen Ordnung“, die Gesellschaft zur „Trägerin der geistigen und materiellen Werte“. So scheint der Staat entweder ein abstraktes Normensystem oder aber ein „Oberbau“, ein Geschöpf der Gesellschaft zu sein. Gleichzeitig aber scheidet dieses Trennungsdenken zwischen Staat und Recht. Hier wird der Staat ganz im Gegensatz zur ersten Unterscheidung bloße Macht und Willkür, das Recht Ausformung eines eigengesetzlichen unpolitischen Wertsystems. Da aber das Recht wie von Staat und Politik auch von derSittlichkeit getrennt wird, so schwebt dieses Wertsystem völlig in der Luft, will man es nicht aus der Willkür staatlicher Satzung entspringen lassen oder bloß als Ausdruck „soziologischer Kräfte“ verstehen. Begreiflich, daß gerade die Rechtswissenschaft und mit ihr die Rechtsgeschichte an einer positivistischen Haltung festhielten. 127ff
Ein Land scheint dadurch gekennzeichnet, daß es ein bestimmtes Recht, sein Landrecht besitzt. Land, so wollen wir einstweilen annehmen, ist ein Gebiet einheitlichen Rechts, Herrschaft dagegen der Besitz eines Herrn, gleichgültig ob rechtlicher Einheit oder nicht. 208
Landrecht ist gewiß ursprünglich nichts anderes als Stammes- und Volksrecht. 214
Die Gebundenheit von Landesherrn und Landesgemeinde an eine über ihnen stehende Rechtsordnung gilt, wenn auch vielfach in innerlich abgestorbenen und verzerrten Formen, bis zum Ende der alten Landesverfassung, in Österreich bis zum Jahre 1848. Dies tritt in der Erbhuldigung, die die Landleute dem Landesherrn leisten, deutlich zutage. Denn hier werden die alten Rechte und guten Gewohnheiten bestätigt und eine gegenseitige Bindung von Landesherrn und Landvolk eingegangen, die ohne Verpflichtung an eine über ihnen stehende Rechtsordnung sinnlos wäre. […] Solange es ein altes Herkommen, eine gute Gewohnheit gibt, an die sich Landesherr und Landstände gebunden und verpflichtet wissen, sind die alten Grundlagen der Verfassung des Landes nicht völlig verlassen. Solange dies der Fall ist, ist das Land weder identisch mit der „Anstalt“, dem „Staat“, dem Macht- und Verwaltungsapparat des Landesherrn noch mit der „Korporation“ der Landschaft, der Landstände, sondern das Land im ursprünglichen und vollen Sinn ist eine „Genossenschaft“ im Sinne Ottos von Gierkel. Es existiert nicht als juristische Person, sondern es existiert faktisch in seinem tatsächlichen rechtlichen Handeln, indem es funktioniert und das in ihm geltende Landrecht übt. […] [D]as Land […] ist eine Genossenschaft landbebauender und landbeherrschender Leute, es ist eine Rechts- und Friedensgemeinschaft germanischer Art. Landrecht und Landfriede sind ihre Wesenselemente. 270f
So erweist nicht nur die Tatsache der Fehde, sondern auch die Art des Rechtsganges, daß das mittelalterliche Land eine breite Zone der Eigenmacht, von Selbsthilfe, von rechtmäßiger Gewalt kennt. Ist in der Fehde als rechtmäßiger Gewalt der Rechtsschutz den Parteien überlassen, so führt der Rechtsgang vielfach nur zu einem Rechtsspruch, dem sich die Vollstreckung nicht unmittelbar anschließt. Vollstreckung ist auch in diesem Falle weitgehend Sache der Parteien. In einer so organisierten Welt treten Recht und Rechtsschutz auseinander. Es fehlt eine Staatsgewalt, die den Rechtsschutz für sich allein in Anspruch nehmen würde oder doch die Eigenmacht der Parteien auf ein Mindestmaß beschränkt. Hier ist die „Staatsgewalt“ im modernen Sinn gewissermaßen aufgesplittert auf Landesherrn und Landesgemeinde und jedes vollberechtigte Glied der Landesgemeinde besitzt ein Stück „Staatsgewalt“. Sie alle zusammen sind daher der „mittelalterliche Staat“. Angesichts dieses Auseinandertretens von Recht und Rechtsschutz nimmt es nun nicht Wunder, daß Schutz und Schirm in der Landesverfassung eine zentrale Rolle innehaben. Nur wer sein Recht selbst zu schützen vermag, wer voll wehrfähig ist, vermag vollberechtigtes Mitglied der Landesgemeinde zu sein. Wer dies nicht ist, bedarf eines Herrn, eines Vogtes, der ihm seinen Schutz und Schirm angedeihen läßt. So versteht man es, daß der Landesherr bestimmten Personen und Verbänden seinen besonderen Schutz verspricht. Das wäre ganz sinnlos, wenn die landesfürstliche Oberkeit mit einer modernen souveränen Staatsgewalt identisch wäre, die jedermann in gleicher Weise Rechtsschutz angedeihen läßt. Wer sich diese Voraussetzungen der mittelalterlichen Landesherrschaft vor Augen hält, wird gewiß nicht zweifeln, daß diese Männer „wirkliche Herrscher“ gewesen sind. 272f
„Grundherrschaft“ ist in erster Linie Verfügungsrecht, Herrschaft über Grund und Boden. Im Mittelpunkt des deutschen Sachenrechtes aber, dem natürlich das Recht an Grund und Boden zugehört, steht der Begriff der G e w e r e, die lateinisch als „dominium“ bezeichnet wird. Es ist der schwierigste und umstrittenste Begriff im deutschen Recht und wohl überhaupt nicht in eine abstrakte Definition im Sinne der Schullogik zu fassen. Es handelt sich um das tatsächliche Innehaben und Nutzen einer Sache, das die Vermutung eines Rechts an der Sache herbeiführt. Wir haben also einen Begriff vor uns, der dem des Besitzes verwandt ist, ohne mit ihm identisch zu sein. Das Entscheidende für uns ist folgendes: Dieses tatsächliche Innehaben, das zur Gewere gehört und das in der wirtschaftlichen Nutzung seinen Ausdruck findet, setzt landrechtlich die volle Wehrfähigkeit voraus. Man muß seine Gewere mit Waffengewalt schützen können gegen einen unrechtmäßigen Angriff, gegen eine Entwerung. Unterliegt man dabei, so hat der Widerstand doch erwiesen, daß man die Gewere zu üben vermochte, daß „gewalt ân recht“, unrechtmäßige Gewalt vorliegt. Dieser Begriff „gewalt ân recht“, der in den Landrechtsaufzeichnungen, namentlich im steirischen Landrechtsbuch immer wieder hervortritt, setzt den Begriff „gewalt mit recht“ voraus. Der Herr einer Sache, eines Stückes Grund und Boden, übt im Schutz seiner Gewere rechtmäßige Gewalt, der Herr übt hier S c h u t z und S c h i r m, er hat „dominium quoad protectionens“. So ist der Grundherr nicht einfach ein Grundeigentümer oder Grundbesitzer, sondern ganz buchstäblich und wörtlich ein Grundherr. Das heißt, ganz gleichgültig, aus welchem Rechtstitel der Grundherr seinen Boden besitzt, ob zu Eigen, zu Lehen, zu Burgrecht, zu Pfande, er hat Gewere daran und weiß sie zu schützen: Gegen Entwerung durch unmittelbaren Angriff in der Verteidigung seines Rechts, Prozeß vor Gericht, der ein „Krieg“ ist, oder in der Fehde. Immer geht es um rechtmäßige Gewalt, um Schutz und Schirm. Wir haben eine Verfassung vor uns, die die Gewaltübung der Rechtsgenossen wider einander kennt, in der kein Staat im neuzeitlichen Sinn vorhanden ist, der ein Monopol legitimer Gewaltanwendung in Anspruch nehmen würde. Jeder Rechtsgenosse hat hier ein Stück der exekutiven Gewalt. In einer so verfaßten Welt kann nur der voll wehrfähige, im Mittelalter der ritterliche Mann, der „Herr“ (dominus), Rechtsgenosse, Glied der Landesgemeinde, des Landvolkes sein. Es ist klar, daß ein solcher Mann nicht eine Privatperson im Sinne des modernen Rechtes ist. Er ist kein Grundbesitzer, den der Staat nötigenfalls in seinem Rechte schützt wie heute, sondern eben ein Grundherr, der selbst Gewalt, Schutz und Schirm zu üben vermag, „Gewere“ aber, die das „Deutsche Privatrecht“ wesentlich nur als eine Wurzel moderner Privatrechtsinstitute berührt, hat ohne Zweifel im Rahmen des mittelalterlichen Landrechts verfassungsrechtliche Bedeutung. 290f
Wer die politische Geschichte des Mittelalters kennt, weiß, was die Fehde bedeutet. Immer wieder flammt sie empor, wird mit Raub und Brand geführt, leert Ställe und Scheunen, legt die Dörfer in Asche. Aber dieser landrechtlichen Fehde mit aller ihrer Furchtbarkeit ist doch eine Grenze gesetzt, die sie nie überschreiten darf, will sie rechtmäßige Gewalt bleiben: Das Haus des Fehdegegners. Dessen Schwelle zu überschreiten ist schwere Missetat, Rechts- und Friedensbruch, ist Hausfriedensbruch, Heimsuchung. Das Haus ist Sonderfriedensbezirk, ist immun, ist eine „Freiung“, in dessen Sphäre nur das Land als Ganzes eingreifen kann, wenn von diesem Hause aus Unrecht geübt wurde, wenn es als ein Raubhaus, ein „Diebhaus“ erwiesen wurde. Aus Häusern besteht aber nicht nur das Land, sondern auch die Stadt und das Dorf. Aber diese Häuser sind nicht landesunmittelbar, sondern sie stehen unter der Herrschaft von Stadtherr und Stadtgemeinde, beziehungsweise von Grund- und Dorfherrn. Allen diesen Häusern in Land, Stadt und Dorf ist aber gemein, daß mit dem „Dachtrauf“, mit der Fallinie des vom Dache rinnenden Regens, ihr Friede beginnt. „Domus sua pro munitione sit“, sagt das Ennser Stadtrecht von 1212. Gerade das bäuerliche Haus im Dorf hat diesen Charakter. Am Dachtrauf endet die Gewalt des Dorfherrn, wenn er nicht gleichzeitig Grundherr des betreffenden Hauses ist. Namentlich der in der Nacht heimlich ins Haus Eingedrungene kann straflos erschlagen werden, auch der, der von außen an Tür und Fenstern horchte. Am charakteristischsten erscheint dieser Friede des Hauses im sogenannten „weltlichen Bann“ oder dem „Stecken vor die Tür schlagen“. Geriet ein Haus mit Dorfgemeinde oder Dorfherrn in Konflikt, so wurde der Stecken vor die Tür geschlagen. Der Friede des Hauses war gewahrt, aber Mensch und Vieh waren von Wasserund Weide abgeschlossen. Es sind die Bauern selbst, die diese Mittel in den Bauernkriegen als Zwang zum Mitgehen gerne anwenden. 294f
Der Hausherr haftet nach germanischem Recht für die Leute, die in seinem Hause dauernd wohnen, die er „haust und hoft“, Freie wie Unfreie. Sie alle stehen, indem sie in seinem Hause Aufnahme finden, in seinem Schutz und daher in einem Abhängigkeitsverhältnis. Infolge der Haftung hat der Herr sich für seine Leute zu verantworten und seine Leute dem öffentlichen Gericht, wenn nötig, auszuliefern. Ebenso aber hat der Hausherr die Rechtsansprüche seiner Leute zu vertreten. Von Anfang an tritt uns dabei der Charakter des Hauses als Freiung entgegen. Es besteht nicht ein unmittelbares Eingriffsrecht des Landrichters (Grafen), sondern eine Schubpflicht, wobei der Missetäter, „so wie er mit dem Gürtel umfangen ist“, ausgeliefert wird, während sein Besitz dem Herrn verbleibt. So entwickelt sich „im Hause“ eine Gerichtsgewalt des Herrn über seine Leute, die ihre Grenze erst an jenen Fällen findet, die an Leib und Leben gehen und die vor die Landgerichte gehören. Wohl aber kann der Herr die Auslieferung vermeiden, wenn er eine Sühne vermittelt oder aber die gegen den von ihm geschützten Mann gerichtete Rache auf sich nimmt. 295f
Diese Herrengewalt erscheint als Herrschaft, Schutz, Vogtei, Pflege, Munt. Die schirmend bewehrte Hand ist ihr Kennzeichen. Wer Munt übt, muß selbst mündig sein, nicht bloß den Jahren nach, er muß seine Hausleute schützen können. Weil er sie schützt, ist er ihr Herr, sie sind seiner Gebotsgewalt, seinem Befehl unterworfen, sie stehen in seiner Huld, seiner Gnade. Wer sich dem Befehl nicht fügt, verliert die Huld, die Gnade, er wird schutzlos aus dem Haus gestoßen. 296
Treu sein, heißt den Nutzen des Herrn fördern, seinem Schaden wehren, ohne erst einen Befehl abzuwarten. Treue setzt dem Gehorsam aber auch Grenzen; denn treu sein kann man nur im Rahmen des sittlich und rechtlich Zumutbaren. Treue hat ihre Grenze an Sitte und Recht. Das ist von allergrößter Bedeutung. Dem diese Grenzen überschreitenden Herrn kann der Bauer Treue und Gehorsam verweigern. […] Treue ist ein zweiseitiges Verhältnis; sie hat etwas von Vertrag an sich. Hat doch das germanische triuwa die Bedeutung Vertrag, so wie heute noch im Französischen la trève. Aber es ist ein Vertrag besonderer Art. Denn er wird durch einen Eid, einen Treueid, die Huldigung, begründet. Auch bei der Landleihe wird ein solcher „Vertrag“ eingegangen. Aber sie ist darum keine „Pacht“ im modernen Sinn. In beiden Fällen wird ja Land gegen Entgelt zu Leihe gegeben. Aber im Falle von Pacht begründet der Vertrag nur ein ausschließlich auf die Tatsache der Landleihe bezügliches Verhältnis, im Falle der Begründung eines Holdenverhältnisses entsteht eine durch Treueid bekräftigte Bindung des Holden an den Herrn, ein Zustand, ein „Status“, der den ganzen Menschen letztlich in einer durch den Eid religiös fundierten Bindung erfaßt. Gewiß kann das durch die Huldigung entstandene Verhältnis auch kurzfristig sein, so bei den Zeitleihen. Aber so lange es besteht, bindet es den ganzen Menschen und schafft nicht eine auf ein bestimmtes Objekt beschränkte Beziehung im Sinne des modernen Vertragsrechts. 300f
Der Schwabenspiegel, das um 1275 entstandene süddeutsche Rechtsbuch, das gerade in Österreich weite Verbreitung besaß und praktisch verwendet wurde, läßt die Bauern sagen: „Wir sullen den herrn darumbe dienen, daz si uns beschirmen. Beschirmen si uns nit, so sind wir inen nicht dienstes schuldig nach rechte.“ 302
Der Totschlag und noch mehr natürlich die heimliche Tötung, der Mord, gehören seit dem hohen Mittelalter zu jenen Fällen, die den Täter durch die Tat selbst friedlos werden lassen. Der Totschläger ist ein schädlicher Mann, der ungestraft getötet werden kann. Hier setzt nun die uralte Tradition der Blutrache ein. Der ganze Kreis der Blutsverwandten, die „Freundschaft“ in jenem Sinn, wie die bäuerliche Sprache dieses Wort noch heute kennt, tritt hier ein und sucht den Täter zu töten, wenn nicht vorher das Landgericht eingreift und die Auslieferung fordert. In beiden Fällen ist das Leben des Totschlägers verwirkt. Daran aber hat der Grundherr, der wegen eines „redlichen“ Totschlages, wie die Quellen sagen, eine wertvolle Arbeitskraft verlieren soll, kein Interesse. Doch gibt es einen Ausweg. Jede Fehde, auch die Todfeindschaft, kann durch einen Friedensvertrag, eine Sühne, beendet werden. Der Täter löst sich durch Zahlung eines Wergeldes aus der Feindschaft. Dafür die Möglichkeit zu schaffen, ist Pflicht des Herrn. Er muß — so sagen die Weistümer — den von Feindschaft verfolgten Bauern in sein Haus, seine Burg aufnehmen, da der Hausfriede ja von den Fehdeführenden nicht gebrochen werden kann, er muß ihn schützen, auch wenn er die Burg nicht erreicht und die Freiung des Sonderfriedens eines Gotteshauses, ja eines Wegkreuzes in Anspruch nimmt. Ja er soll ihm, wenn die Sühneverhandlungen nicht zum Ziele führen, zur Flucht nach auswärts verhelfen. So hat das Haus des Herrn, zu dem die Holden gehören, für diese einen sehr realen Sinn. Man versteht aber auch, daß auch aus diesen Gründen die Herren darnach strebten, ihr Haus zu befestigen, zur Burg zu machen. Daher steht neben der Adelsburg das befestigte Kloster als Mittelpunkt der geistlichen Grundherrschaft. 306ff
Dem Schutz, den der Herr den Holden gewährt, stellt sich „Rat und Hilfe“ gegenüber, die diese ihrem Herrn schulden. Rat und Hilfe sind der unmittelbare Ausdruck der Treuepflicht. Der entscheidende Begriff ist der des Rates, da er in seiner ursprünglichen Bedeutung die Hilfe mit einschließt. Ist Treue ein Schuldverhältnis, in dem die ganze Person zu Pfande gesetzt wird, so ist Rat nichts anderes als der Einsatz der ganzen Person, durch den die Treuepflicht des Nutzentrachtens und Schadenwendens erfüllt werden muß. Wilhelm Groenbech hat auf diese ursprüngliche, germanische Bedeutung des „Rates“ hingewiesen. In mit Rat zusammengesetzten Worten tritt diese ursprüngliche Bedeutung noch heraus, so in Heirat, Hausrat, Geräte. Das Gegenteil des Rates ist der Unrat, der in der Rechtssprache des späteren Mittelalters häufig Konflikt, Waffengewalt bedeutet, und vor allem der Verrat, der Treuebruch schlechthin. Da Rat dem Treueverhältnis entspringt, kann er nur zum Inhalt haben, was Recht ist. […] Doch ist Rat stets mehr als unverbindlicher Ratschlag, wer „ratet“, verpflichtet sich damit auch zur Hilfe. […] Jedes Rechtsgeschäft über liegendes Gut wird nicht nur mit Händen der Ehefrau und der Erben, sondern auch mit „rat“ der Freunde abgeschlossen. […] Erscheint Rat und Hilfe vor allem als Pflicht des Untertanen gegen den Herrn, so fehlt es nicht an Zeugnissen, daß auch Schutz und Schirm des Herrn sich in Rat und Hilfe äußern. Rat und Hilfe enthüllen sich als eine der Grundkategorien mittelalterlicher Ordnung überhaupt. Hilfe kann nur geleistet werden als außerordentliche Leistung im Falle der Not. Sie kehrt nicht regelmäßig wieder und ist dem Wesen nach in der Höhe durch das Maß der Not bestimmt, also an sich ungemessen, in jedem Einzelfall besonders festzusetzen. Wie schon oben dargelegt wurde, ist daher scharf zu scheiden zwischen den jährlichen Diensten und Zinsen der Bauern sowie den sonstigen regelmäßig geforderten Abgaben verschiedener Art und diesen außerordentlichen Leistungen. Diese Hilfe erscheint in unseren Quellen in immer wiederkehrenden Formeln als „Steuer, Robot und Reise“. Sie umschließt also die Pflicht zu Geldleistungen (Steuer), zu Hand- und Spanndiensten (Robot) und zu Kriegs- und Wachtdienst (raus, veld, wacht). 308ff
Seit dem späten 12. Jahrhundert erscheinen in den Quellen häufiger Leistungen, die als stiure, steura, Steuer bezeichnet werden. Synonym damit erscheinen Benennungen wie bede, petitio, aber auch exactio, extorsio, violentia. Diese Steuer wird also, scheinbar sehr widerspruchsvoll, sowohl als Bitte wie als Gewalt, Zwang betrachtet. Da Fälle vorkommen, in denen dieselbe Abgabe gleichzeitig als steura, petitio und exactio bezeichnet wird, kann an der Identität der so verschieden benannten Abgaben kein Zweifel sein. Diese Steuern der mittelalterlichen Quellen erscheinen von Anbeginn an in zwei Erscheinungsformen, als ordentliche Steuern, die regelmäßig von Jahr zu Jahr gefordert werden und die in ihrer Höhe zumeist fest umschrieben sind, so daß bereits ein Rechtsanspruch auf eine bestimmte jährliche Leistung besteht, und als außerordentliche Steuern, die den Charakter einmaliger Hilfen tragen. 312f
Freilich, die Rechtsgrundlage der Bede ist „die von den fränkischen Herrschern geschaffene gräfliche Gewalt“. Die Entstehung der Bede hätten wir uns ja gewiß auch in der Art zu denken, daß ein Graf oder allenfalls einige Grafen auf den Gedanken kamen, die Insassen ihrer Grafschaft mit einer „Bitte“ anzugehen. Ist dies aber die Wurzel der Bede, der Steuer, dann steht an ihrem Beginn nicht die „ordentliche“, sondern die „außerordentliche“ Steuer und die ordentliche ist sekundär. Dafür spricht aber nicht nur der Name, sondern ebenso der von Below angegebene Rechtsgrund: die „legitima necessitas“, die ehrhafte Not. Ist Not die Voraussetzung der „Bitte“ um „Hilfe“, dann haben wir es mit einer außerordentlichen Forderung zu tun. […] An den Muntunterworfenen ist die Steuer zuerst von den Landesherren entwickelt und dann auf die privilegierten Stände, die noch lange an der Ansicht von der Steuerfreiheit des freien Mannes festhielten, ausgedehnt worden. 315f
Stiure, Steuer ist seiner ursprünglichen Bedeutung nach Stütze, Hilfe. Dieser Sinn war dem Mittelalter anders als uns auch dann, wenn das Wort einen bestimmten rechtstechnischen Sinn besaß, unmittelbar gegenwärtig. Nicht nur in Zusammensetzungen wie Beisteuer, Heimsteuer, Aussteuer, sondern auch das Wort Steuer selbst wird im Sinn von Hilfe gebraucht. Man verbietet etwa, dem Friedlosen „zu helfen und zu steuern“. Steuer im mittelalterlichen Sinn ist also außerordentliche Hilfe in der Not. Sie kann überall dort entstehen, wo „Rat und Hilfe“ gefordert werden kann und die Situation der Not eintritt. Die Pflicht zur Steuer entspringt dem Treueverhältnis zwischen Herrn und Untertan, Verband und Verbandsgenossen. Treue aber ist, wie wir wissen, nicht bedingungsloser Gehorsam, sondern nur im Rahmen des „sittlich und rechtlich Zumutbaren“ möglich. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit, daß sich Herr und Untertan über die tatsächliche Gegebenheit der „rechten Not“ verständigen. Darum muß um die Steuer ersucht, sie muß gefordert und zugestanden werden. Die Steuer ist darum „Bitte“, Bede, Petitio, Precaria. […] Das Urteil dessen, der Steuer fordert, daß der Fall der Not gegeben sei, wiegt schwer. Es kann sich auch durchsetzen, wenn die der Steuer Unterworfenen den Fall der Not nicht für gegeben erachten, wenn sie die Steuer als Zwang, als exactio, extorsio, violentia, ja als rapina, Raub empfinden. Nicht zufällig kehren gerade diese Ausdrücke wieder, wenn, wie in den Immunitätsprivilegien, auf Steuerrecht verzichtet wird. Zudem lassen sich Fälle nachweisen, in denen Steuern zurückgezahlt wurden. 335ff
Die europäischen Bauernaufstände liegen durchwegs am Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit; sie fallen mit den Anfängen des modernen Staates zusammen, der schon stark genug war, die Grundherrschaft aufzulockern, noch nicht aber seinerseits den Frieden zu schützen. Sie beginnen daher im 14. Jahrhundert in Westeuropa, in Flandern, Frankreich, England, und breiten sich nach Osten aus. Untersucht man nun aber die zahlreichen uns erhaltenen Beschwerdeschriften der Bauern, so stößt man immer wieder auf dasselbe Problem. Es sind die Vorstöße der herrschaftlichen Schutzgewalt, die von den Bauern nun als besonders drückend empfunden wurden. Einer Schirmgewalt, die ihren Sinn zu verlieren beginnt, die der werdende moderne Staat übernimmt. Und dieser Staat fordert ja nun Steuer und Kriegsdienst in steigendem Maß. Hier liegt das eigentliche Problem. Der Kärntner Bauernaufstand von 1477 ist unmittelbar aus einem Türkeneinfall entstanden. Als die Herrn sich in ihre Burgen zurückzogen und die Bauern preisgaben, rotteten sich diese zusammen, erst gegen die osmanischen Streifscharen, dann gegen ihre Herren, deren Schutz versagt hatte. Der große niederösterreichische Bauernaufstand von 1596/97 bricht los, weil die Niederlagen in Ungarn gegen die Türken rasch aufeinanderfolgende Aufgebote der Bauern zum Kriegsdienst erforderten. Auch hier findet sich die Rede, daß man nach Abstellung der bäuerlichen Beschwerde wider die Türken ziehen wolle. 399f
Anders im Mittelalter: auch hier ist der Herrscher an die „Gerechtigkeit“ und die „gute Gewohnheit“ gebunden, die göttliches und positives Recht zugleich sind. Aber es steht ihm nicht allein zu, zu entscheiden, was dieser Bindung entspricht. Gegen die unrechttuende Obrigkeit erhebt sich der Widerstand in der Gestalt der Fehde und zwar von Seite jedes Fehdeberechtigten, der sich in seinem Recht, seiner Gerechtigkeit verletzt fühlt. Damit aber sind „Freiheiten“ und „Herkommen“ eine über Landesherr und Landvolk stehende Ordnung, nicht positive Satzung einer souveränen Gewalt. Das Wesen der Landeshoheit kann nicht nach Art einer souveränen Staatsgewalt im neuzeitlichen Sinn, sondern nur aus dem Begriff des Landes und der Landesverfassung bestimmt werden. 411f
Das Land und seine Landesgemeinde benötigen, um in ihren ursprünglichen Aufgaben als Gerichts- und Heeresgemeinde zu funktionieren, einen Leiter. Diese Funktion übt der Landesherr. Er ist aber zugleich mehr. Er ist Herr, Schirmer der Landesgemeinde. Aus dieser Tatsache entspringt seine „Oberkeit“, seine Gebotsgewalt. Ihr sind aber Grenzen gesetzt durch die Natur des Landes als einer Rechts- und Friedensgemeinschaft besonderer Art, deren Glieder ihr Recht zu schützen wissen. Es gibt im Lande „rechte Gewalt“. Rechtsschutz ist nicht Monopol des „Staates“. […] Der Landesherr ist der Richter im oberen Landesgericht, im Landtaiding. Diese Landtaidinge gehen in den alten Ländern auf die Zeit zurück, da der spätere Landesherr noch nicht Herr des Landes gewesen ist. Vor sie gehören alle streitigen Sachen der Landleute mit Ausnahme der Prozesse um Gewalt und Entwerung, die als Friedensbruch vor das Hofgericht kommen. Seit dem 13. Jahrhundert sind die alten Landtaidinge allmählich abgestorben. Wir verfolgen ihr Fortleben in Bayern bis zur Mitte des 13., in Österreich bis zur Mitte des 14. Jahrhunderts. Nun werden sie von den Hofgerichten verdrängt. 412f
Die Ersetzung der Münzverrufung durch das Ungeld im Lande Österreich (1359) erfolgt auf Grund eines mit dem Land nach Rat der Landherren, Ritter und Knechte abgeschlossenen Übereinkommens. 448
Die Landleute sind zur Abwehr des Landesfeindes innerhalb der Landesgrenzen und auch dies nur innerhalb eines Monats auf eigene Kosten verpflichtet. Wohl aber haben sie dem Landesherrn „zu raten und zu helfen“. Darum bewilligen sie dem Landesherrn im Falle der Not außerordentliche Steuern und Kriegsleistungen. 498
Der landesfürstliche Absolutismus hat gesiegt. Allerdings bestanden in dem lockeren Rahmen der österreichischen Monarchie Länder und Landtage bis 1848 fort. Bis zuletzt bewahrten sie — wenn auch erstarrt und innerlich ausgehöhlt — doch die Grundlagen des „guten alten Rechts und Herkommen“. Die liberale Revolution hat dieses Fundament zerstört, erwies sich aber außerstande, selbst eine neue, sichere Grundlage dauernder Ordnung zu schaffen. 503
Man ist sich über die Gefahren eines „Etatismus“, der den Staatsapparat mit der politischen Gemeinschaft überhaupt gleichsetzt, völlig im klaren. 520
Adeliges Landleben und europäischer Geist
[…] die dauernde Politik des Aufbaus des Territorialstaats haben außerordentlich hohe Mittel erfordert, die sehr bald aus den laufenden Einnahmen des Kammerguts nicht mehr bedeckt werden konnten. Das hat ja schließlich zur Bildung der Landtage geführt, auf denen außerordentliche, immer nur für einen begrenzten Zweck bestimmte Steuern, die die Herzoge ohne Zustimmung der Landstände nicht erheben konnten, bewilligt wurden. 12Eine solche Lage, die Ungeklärtheit der Erbfolge, die schon im Mittelalter den Ständen oft zugute gekommen war, ergab sich bereits 1519 beim Tode Maximilians I. Die Landstände wollten seine Erben, Karl V. und Ferdinand I., erst anerkennen, wenn sie die Erbhuldigung geleistet hätten und in den vorangehenden Verhandlungen ihre Rechte geklärt und bestätigt worden wären. So war es im Mittelalter immer gewesen. Jetzt aber, wo ein dauernd funktionierender Behördenapparat vorhanden war, der auch beim Tode des Herrschers weiterbestand, wurde die Frage der dauernden Ausübung der Regierungsrechte plötzlich von weittragender Bedeutung. Die Stände vertraten die Meinung, daß der Herrscher erst durch die Erbhuldigung in die Regierungsrechte eintrete. Daher schob man die „Regierungen“ Maximilians, deren Mandat man entgegen der ausdrücklichen Verfügung des Kaisers mit dessen Tod als erloschen betrachtete, beiseite. In Niederösterreich ging man noch weiter. Hier griff man auch in die engere fürstliche Machtsphäre, das Kammergut, ein und nahm es unter ständische Verwaltung. 26f
Auch die Bauern neigten, wie wir aus manchen Beispielen wissen, namentlich bei kleinen und schwachen Herren, zu allerhand Übergriffen. 45
So sind die wesentlichsten Kategorien, mit denen die Struktur des mittelalterlichen und zum Teil auch noch des frühneuzeitlichen Europa zu beschreiben ist, nicht etwa „Staat und Gesellschaft“, die so oft in historischen Darstellungen als allgemeingültiger Einteilungsgrund verwendet werden, sondern „Kirche“ und „weltliche Ordnung“. Aus ihrer Spannung und ihrer sich entwickelnden Gegensätzlichkeit, über denen allerdings die Einheit der „Christenheit“ nicht vergessen werden darf, entspringt die entscheidende Dynamik der europäischen Geschichte. Kirche ist dabei zu verstehen als Organisation und geistige Gemeinschaft, die das ganze Abendland, Kleriker und Laien erfaßt. Weltliche Ordnung als „Adelswelt“, als „Feudalismus“, eine Lebensform, die nicht nur den „Staat“ bestimmt, sondern auch den weltlichen Besitz der Kirche. 62
Die entscheidende Folge ist ein grundsätzlicher Strukturwandel der „Christenheit“. An Stelle des engen Inundmiteinanders von geistlicher und weltlicher Gewalt tritt der Neben-, ja in den zeitweise immer aufs neue aufbrechenden Konflikten Gegeneinander von Kirche und Staaten. Die Kirche wird nicht mehr in erster Linie als Corpus Christi mysticum, als Christenheit verstanden, sondern als rechtlich geordnete, hierarchisch aufgebaute Klerikerkirche. Es ist bezeichnend, daß sich im 12. Jahrhundert das Kirchenrecht von der Theologie löst und eine selbständige Wissenschaft entwickelt. […] Das Christentum durchdringt in einer Weise alle Schichten der „Welt“, wie dies in der christlichen Antike und in der Ostkirche unbekannt war. Zwar blieb das Bewußtsein der Spannung zwischen christlicher Forderung und Leben in dieser Welt immer lebendig, ein eigentümliches Gefühl der Sündhaftigkeit, das vom Abendland allerdings in zunehmendem Maße an den Rand des Lebens geschoben wurde, das darum nicht selten erst auf dem Totenbett wieder erwachte, ja weithin schließlich verlorenging. Hier eröffnet sich eine für das Schicksal des Abendlandes sehr wesentliche Sicht. Jene Verweltlichung, Säkularisierung, die das alte Europa als geistige Einheit schließlich zerstört hat, entspringt nicht einer der christlichen Jenseitsgebundenheit entgegengesetzten „Diesseitsstimmung“, nicht einem „Esprit laique“, sondern erwächst in einer für das christliche Geschichtsdenken tragischen Verwicklung aus dem geschichtlich einmaligen Wollen des Abendlandes hervor, auch diese Welt zu verchristlichen. Im Christentum sind Weltflucht und Wirkenwollen in die Welt zugleich angelegt und werden je nach der geschichtlichen Situation, der Wesensart der einzelnen Völker und Völkergruppen und ihrem politischen, sozialen und seelischen Gefüge in verschiedenem Verhältnis wirksam. Diese grundsätzliche Gegebenheit bleibt in jeder christlichen Kultur dauernd lebendig. Im hochmittelalterlichen Abendland tritt aber etwas Neues hinzu – der Wille zur Formung einer „christlichen Welt“. An sich nur eine Fortbildung des Wirkens in die Welt unter den Bedingungen junger, noch ungeformter Völker schafft diese Tendenz durch das Auseinandertreten von Kirche und Welt seit 1100 eine neue Lage. Es entsteht eine christliche Kleriker – und eine christliche Laienkultur. Die letztere ist es, aus der wieder in geschichtlich einmaliger Weise die Tendenz zur Verweltlichung, Säkularisierung, Rationalisierung, die das neuere Europa kennzeichnet, entspringt, der in der religiösen Sphäre ein Streben zur „Innerlichkeit“, zum Spiritualismus entspricht. Diese beiden Strömungen zusammen bestimmen die Zukunft. 63f
Man wird fragen dürfen, ob nicht doch die vielen unschuldigen Opfer des Hexenwahns ein Preis dafür waren, der für die Zurückdrängung des Magischen, die steigende Tendenz zur Ratio in Europa gezahlt werden mußte. 72f
Tugend (Arete, Virtus) ist der Zentralbegriff adeligen Denkens. […] Arete ist bei Homer heroische Kraft und Tüchtigkeit, und das dazugehörige Adjektiv agathós bedeutet ursprünglich edel, tapfer. Beide Worte haben auch schon einen allgemeineren, ethischen Sinn, sie bezeichnen die Haltung des vornehmen Mannes. Schon bei Homer steht aber „dem Adelstolz, der gern auf die lange Reihe der erlauchten Vorfahren blickt, die Erkenntnis gegenüber, daß der Vorrang der Stellung nur durch die Tugenden behauptet wird, durch die er errungen worden ist“. 75f
Der „Cantar de mio Cid“ zeigt diesen Glaubenskämpfer und Kondottiere, der zeitweise sogar in maurischen Diensten stand, in untrennbarer Einheit von Geschäftssinn, Eroberungstrieb und religiöser Leidenschaft geleitet. 82
Wenn nun eine Laienkultur entstand, die sich nicht mehr auf die Sphäre der Dichtung beschränken, die sich auch des bisher ein Monopol der Kleriker bildenden wissenschaftlichen Weltbildes bemächtigen wollte, dann blieb nur der Weg, auf dieses gemeinsame Element zurückzugreifen, das christliches und antikes Erbe zugleich war, vor den Antinomien des scholastischen Denkens, vor der Problematik des „christlichen Ritters“ sich zurückzuziehen in eine diesen gegenüber neutrale Sphäre des rein Menschlichen, des Humanen, auf die Humanitas. Wir wissen, es handelt sich um ein Element, das immer vorhanden war. Nun aber wird es ausgegrenzt, gewissermaßen eingeklammert, zum Kernstück des Humanismus. Auch sein Menschenbild ist das der Adelswelt, deren „virtú“ sich in der magischen Welt der „fortuna“ behaupten muß. Erst diese Ausklammerung macht die „Entdeckung des Menschen“, die „Autonomie des Individuums“ in einem geschichtlich einmaligen Sinne möglich. 102
Die von Jakob Burckhardt begründete Deutung der Renaissance als Ursprung der modernen Welt wurzelt ebenso wie ihre spiritualistische Umdeutung durch Konrad Burdach auf Begriffen der modernen Welt. Dieser „Individualismus“ ist im Gegensatz zum französischen Frühsozialismus und am Persönlichkeitsbegriff des deutschen Neuhumanismus entwickelt worden, die beide nicht der Adelswelt angehören. Fragt man, wie wir dies hier tun, nicht nach den Wurzeln der „Neuzeit“, sondern nach der inneren Einheit der Adelswelt, so müssen auch Humanismus und Renaissance in der Kontinuität der europäischen Geistesgeschichte und nicht bloß als Bruch mit dem „Mittelalter“ gesehen werden. Es will uns scheinen, daß damit ihr geschichtliches Wesen richtiger gesehen wird. Diese Haltung war zuerst den Italienern möglich, weil dieses antike Erbe ihnen ein Stück der eigenen Vergangenheit, ein Stück der versunkenen römischen Größe war. Wie ist aber dieses Herausheben einer Ethik für die Welt, eines eigenständigen Bereichs der Humanitas möglich, wenn die Gültigkeit der christlichen Religion dadurch nicht berührt werden sollte? Hier liegt offenbar die Wurzel der spezifisch ästhetischen Haltung der Renaissance und des Humanismus, die das Leben zum Kunstwerk zu gestalten sucht und ihm damit einen Eigenwert gibt, die nicht angefochten werden kann, solange jene ästhetische Haltung aufrecht bleibt. Das Prototyp des Humanisten ist der Poeta et orator, der Poeta philologus, der um die antike Humanitas weiß und ihr künstlerische Gestalt zu geben vermag. Daher konnte sich diese Zeit als das Wiederaufleben der Künste und Wissenschaften begreifen und jahrhundertelang so verstanden werden. 102
Der Sieg des Absolutismus vernichtet die Voraussetzung echter adeliger Haltung. 133
In Alteuropa, der mittelalterlichen Christenheit, treten uns drei führende Nationen entgegen: die Deutschen, die Franzosen und die Italiener. Dessen war sich das Mittelalter wohl bewußt, wenn etwa Alexander von Roes um 1280 den Deutschen das Imperium, den Italienern das Sacerdotium und den Franzosen das Studium, das heißt die Führung in der Wissenschaft, zuschreiben wollte. […] Das eine dieser kulturträchtigen Zentren ist der Raum zwischen Rhein und Loire, Nordfrankreich, Westdeutschland und die Niederlande. Hier entsteht die Grundherrschaft mit Hufenverfassung, Großdorf und Dreifelderwirtschaft, der nordalpine Typ des Fernhändlers und der Stadt, das Lehenswesen und der Feudalstaat, später die absolute Monarchie und damit der moderne Staat, die Reformbewegung (Cluny), Gotik, Scholastik und die ritterlich-höfische Kultur. Das südliche Zentrum liegt in Nord- und Mittelitalien, in der Lombardei und in Toskana. Hier ist der mediterrane Stadtstaat, der Seehandel und die Hochfinanz, die Renaissancekultur und die Europa durch Jahrhunderte bestimmende Bewegung des Humanismus entsprungen. 145f
Auch das Wort Vaterland darf nicht einfach in späterem Sinn verstanden werden. Es hat erst im ausgehenden 18. Jahrhundert, etwa seit der Zeit Josephs II. einen staatlich-politischen Sinn erhalten, so daß der damit verbundene Gefühlsgehalt als „Patriotismus“ bezeichnet werden kann. Im 17. Jahrhundert ist es noch viel unbestimmter. Es gibt Belege aus dieser Zeit, daß jemand seinen Geburts- oder Wohnort als sein „Vaterland“ betrachtet. Ohne Zweifel stecken darin Elemente, die wir als Heimatgefühl, Heimatliebe bezeichnen würden. 225
Der ältere und daher auch heute noch der bäuerliche Begriff der Wirtschaft ist an das Haus gebunden, der jüngere erst seit dem 18. Jahrhundert entwickelte, nimmt seinen Ausgangspunkt vom Handel, von den „Commerzien“, von der Verkehrswirtschaft, deren Durchdringen ja eine der Voraussetzungen für die Entstehung der Volkswirtschaft war. Bis in die Gegenwart läßt sich die Verdrängung des Wortes Handel durch Wirtschaft verfolgen, wenn Handelsministerien, Handelskammern, Handelsschulen zu Wirtschaftsministerien, Wirtschaftskammern, Wirtschaftsschulen umbenannt wurden, wobei die Landwirtschaft bezeichnenderweise stets außerhalb des Bereiches dieser Institutionen blieb. 244
Die alte Ökonomik ist keine Lehre vom Markt, sondern eine Lehre vom Hause. Es ist der Gesamtkomplex der im Hause vorhandenen zwischenmenschlichen Beziehungen, Verrichtungen, Tätigkeiten, den sie erfassen will, während in den neueren Sozialwissenschaften die einzelnen Elemente analysiert und in Zusammenhänge eingeordnet werden, in denen das Gebilde Haus als Ganzes nicht mehr sichtbar wird. Wenn hier, nicht selten unter der irreführenden Bezeichnung einer Lehre von der Konsumtion eine kümmerliche Lehre von der Haushaltung vorgetragen wird, so ist dies nur ein dürftiger Rest, da die zwischenmenschlichen Beziehungen weggefallen, das „Haus“ zudem in Haushalt und Betrieb aufgespalten wird. Es ist letztlich eine bäuerliche Denkweise, die uns in der alten Ökonomik entgegentritt, und sie entspricht einer Sozialstruktur, in der der weitaus größte Teil der Bevölkerung, 90 vom Hundert oder mehr, in der Einheit der bäuerlichen Haus- und Landwirtschaft lebten. 245
Wir wissen heute, daß die Entstehung des Pflugbauerntums mit dem Aufkommen der Hochkulturen in engstem Zusammenhang steht. Beide sind geschichtlich entstanden durch die Überschichtung primitiver Ackerbau (Hackbau) treibender Völker mutterrechtlicher Struktur und magisch-animistischer Geisteshaltung durch erobernde Großviehzüchter, die durch die ihnen gelungene Zähmung und damit Beherrschung großer, hochstehender Tiere eine herrenmäßige Haltung und eine stärkere Rationalität entwickelten. Sie lebten in ausgesprochen vaterrechtlichen Sozialformen. Der durchgebildetste Typ ist der Pferdezüchter, wie denn der Reiter, der Ritter dauernd das Prototyp des adeligen Mannes darstellt. Dort wo Großviehzüchter nicht bloß über Hackbauern herrschen, sondern sich die Synthese zum Pflugbauerntum vollzieht, gewinnt auch das beherrschte Bauerntum in der Struktur seines paternal geordneten Hauses einen herrenmäßigen Einschlag, entsteht eine adelig-bäuerliche Welt, die trotz aller in ihr bestehenden Scheidungen doch einen einheitlichen Charakter trägt. 247
Im germanisch bestimmten Rechtsgebiet ist auch das Bauernhaus „Freiung“, die unter Schutz und Herrschaft des Hausherrn steht, in deren Hausfrieden von außen nur unter bestimmten Bedingungen eingegriffen werden darf. 247
Die Bedeutung des Wortes oikonomia, das mit nemein, verwalten, beherrschen, gebildet ist, ist dieselbe wie Wirt, Pfleger. Oikonomia ist Lehre von der Ordnung des Hauses, von der Herrschaft über beseelte und unbeseelte Dinge. Die Fähigkeit, so zu befehlen, daß die Untergebenen gerne und willig gehorchen, ist nach Xenophon die wesentlichste Eigenschaft des tüchtigen Hausherrn. 248
In der Polis, vor allem in Athen, vollzieht sich aber auch die Wendung von der kosmologischen Spekulation zum Menschen, zuerst in einem naiven, die Gefahr der Zersetzung in sich tragenden Rationalismus. Ihm tritt Sokrates entgegen, da er die Verantwortung vor dem im Inneren des Menschen angelegten geistig-sittlichen Wesen, seiner Vernunft, entdeckt. Auf dieser Grundlage konnte durch seine Schüler die alt-hellenische Polisethik in das Gesamtsystem der Philosophie als deren „praktischer“ Teil, als Ethik, eingebaut werden. In deren Rahmen ist auch die Ökonomik entwickelt worden. Die Ökonomik hat damit einen bestimmten dauernd festgehaltenen Platz im Rahmen der Philosophie, im Gesamtsystem des letztlich metaphysisch bestimmten Weltbildes der Griechen. Auch sie ist ein Stück der griechischen Ontologie, der Seinslehre, die lehrt, „das Allgemeine, in der Essentia zu Formsubstanz verdichtet und im Begriff faßbar, sei das bestimmende und gestaltgebende Innere der Dinge“. Daher wird das Haus wie der Mensch, die Polis oder der Kosmos in seiner „Wesenheit“ als Ganzes erschaut und nicht analysiert. Daher zielt dieses Denken stets auf eine Idealform als „wahres Sein“ und mißt an ihr alle tatsächlichen Erscheinungen. Sein und Sollen können hier nicht im modernen Sinn getrennt sein, sondern liegen in engster Bindung beieinander. Umfang und innere Struktur der „Ethik“ oder „praktischen Philosophie“ der Griechen sind durchaus andere als die deren Aufgaben erfüllenden neueren Sozialwissenschaften. Diese sind daher gezwungen, Denkresultate der Antike, die sie verwerten wollen, aus ihrem Zusammenhang zu lösen. Im Kern ist die praktische Philosophie eine Lehre von der Areté, eine Tugendlehre des Einzelmenschen, des Hausherrn und des Staatsbürgers. Denn in der Tugend liegt die Fähigkeit zur Herrschaft über die eigenen Affekte, über die Angehörigen des Hauses oder des Stadtstaates. Und an der Tugend liegt es, wieweit sich Einzelmensch, Haus und Polis ihrer „Wesenheit“, ihrem wahren Sein zu nähern vermögen. Sind doch diesem Denken wahres Sein und höchstes Gut eins und machen den Gottesbegriff des „metaphysischen Monotheismus“ der Antike aus. Es kann kein Zweifel sein, daß wir es mit einer adeligen Denkweise zu tun haben, wie denn die homerische Gleichsetzung von Wissen und Gesinntsein auf die Ursprünge hinweist, die Grundbegriffe schon in Sprache und religiösem Mythus angelegt sind, bevor sie von der Philosophie entwickelt werden. Es ist die leitende und gebietende Stellung des Herrn, die das Ganze der von ihm beherrschten Gebilde stets vor Augen hat und in ihrer „Wesenheit“ sieht, es ist eine, wie wir wissen, adelige Areté, die die Herrschaft über sein Inneres, über Haus und Polis möglich macht und daher auch in der „Theoria“ analog die Struktur des vom Nus, von Gott beherrschten Kosmos erschaut. Erst in diesem Zusammenhang wird das Wesen der antiken Ökonomik als Tugendlehre des Hausherrn und aller von diesem bestimmten menschlichen Beziehungen und Tätigkeiten im Hause voll verständlich. Zuerst hat, soviel wir wissen, der Sokratesschüler Xenophon, der, aus Athen vertrieben, lange auf seinem Landgut im Peloponnes lebte, der Soldat und Landedelmann, der Bewunderer Spartas und des persischen Adels, der auch über Pferde und Jagd schrieb, in seinem „Oikonomikós“ ein volles Bild der Haus- und Landwirtschaft gegeben. Um ein guter Hausherr zu sein, bedarf es nach ihm nicht nur technischer Kenntnisse, sondern man muß Herr seiner selbst, seiner Begierden sein, um anderen befehlen zu können. 249f
Während für Ethik und Politik umfangreiche Schriften des Aristoteles vorlagen, so besaß man für die Ökonomik nur das kleine pseudoaristotelische Werkchen. Zudem hatte Aristoteles in seine Politik auch die Ökonomik miteinbezogen. Es ist daher verständlich, daß nicht selten an Stelle der Dreiteilung Ethik, Ökonomik und Politik eine Zweiteilung in Ethik und Politik tritt. Während das Interesse an der Ethik durch die Moraltheologie, an der Politik durch die Morallehre für die Herrscher, die Fürstenspiegel, wach gehalten wurde, bleibt die Ökonomik im Schatten. Mit einer wesentlichen wissenschaftlichen Förderung der Ökonomik ist nach allem, was wir bisher wissen, im Rahmen der mittelalterlichen Scholastik nicht zu rechnen. 254
In den letzten Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts wird der Aristotelismus auch von den Hochschulen verdrängt. Damit verschwindet die Ökonomik als Teil der Philosophie […]. 260
„Unsere Österreicher haben ein Sprichwort: ein vernünftiger Hausvater solle drei Fexungen, das ist dreier Jahre Einkommen im Vorrat haben, eine auf dem Kasten, die andere im Stadel oder in der Scheuren und die dritte im Beutel“ (I 177). 302
Wir wissen heute, daß sich in der Moraltheologie der Scholastik, vor allem der Spätscholastik, der wichtigste Fortschritt über die wesentlichen Ansätze bei Aristoteles hinaus auf dem Wege zur „Volkswirtschaftslehre“ vollzogen hat. Eine intensivere Pflege erfuhren diese Dinge in der Pariser Occamistenschule. Nikolaus von Oresme (gest. 1382) hat nicht nur die Ethik, Ökonomik und Politik des Aristoteles für König Karl V. ins Französische übersetzt und die beiden letzteren kommentiert, sondern auch einen Traktat „De mutatione monetarum“ geschrieben, der ihm den Namen des „bedeutendsten Nationalökonomen des 14. Jahrhunderts“ eintrug. Jedenfalls war er der erste, der einem volkswirtschaftlichen Thema eine selbständige Abhandlung widmete. Nicht zufällig handelt sie vom Geld und nicht wie die Ökonomik vom Haus. Ohne Zweifel waren die Pariser Anregungen auch für Heinrich von Langenstein und Heinrich Totting von Oyta maßgebend, die beiden führenden Theologen der Universität Wien im ausgehenden 14. Jahrhundert. Sie haben ihre Ansichten in je einem „Tractatus de contractibus“, der erstere auch in der „Epistola ad consules Viennenses“ niedergelegt. Ihre Lehren wirkten lange nach. So weiß man von einer Schrift „De censibus“ des Thomas Ebendorfer. Johannes Nieder (gest. 1438) schrieb einen „Tractatus de contractibus mercatorum“. Antonin von Florenz behandelte diese Dinge in seiner (ethischen) „Summa“, und um 1500 hat Konrad Summenhard in Tübingen eine umfangreiche Schrift „De contractibus licitis et illicitis“ geschrieben, die lange maßgebend blieb. Auch die wesentlich spanische Spätscholastik des 16. Jahrhunderts behandelt diese Probleme bei allem Wandel zu der Verkehrswirtschaft stärker entgegenkommenden Anschauungen doch im Rahmen der Moraltheologie. […] E. Salin hat gezeigt, daß in der Hoch- und Spätscholastik die wesentlichste Einsicht in den Kapitalbegriff gewonnen wurde, die erst im 18. Jahrhundert überholt worden ist. Schon Thomas scheidet die Geldleihe, von der Zins zu nehmen weiter verboten ist, und die Kapitalinvestition durch Gesellschaftsverträge, die erlaubten Gewinn bringt. Diese Lehre wurde dann wesentlich erweitert, auf Damnum emergens und Lucrum cessans, auf Rente, Kauf und Miete. Endlich hat am Beginn des 16. Jahrhunderts der Kardinal Cajetan in seinem Thomaskommentar das Geld als Ware erklärt, so im Bankgewerbe, und damit gerechtfertigt. Es ist der sogenannte „Frühkapitalismus“, der Handels- und Finanzkapitalismus des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit, eine geschichtlich eigenständige Erscheinung, die keineswegs nur als Vorstufe des „Hochkapitalismus“, richtiger der ja nicht nur an kapitalistische Formen gebundenen „industriellen Gesellschaft“ angesehen werden darf, der die Theologie zum Aufwerfen dieser Probleme zwingt. Dieser Frühkapitalismus, dessen eminente Bedeutung für die städtische Wirtschaft und namentlich für die Finanzpolitik der Staaten uns bekannt ist, entfaltet sich in einer Welt von grundherrlicher, „feudaler“ Struktur, die von ihm nicht unberührt ist […], aber nicht prinzipiell in Frage gestellt wird. So steht dem die dieser feudalen Welt zugeordnete „Ökonomik“ neben den in der Moraltheologie entwickelten „nationalökonomischen“, die Verkehrswirtschaft betreffenden Einsichten. Gerade diese Bindung an die Moraltheologie gibt ihnen übrigens ein beträchtliches Maß praktischer Wirksamkeit. Die hier theoretisch erarbeiteten Lehren wirken über Prediger, Beichtspiegel und Beichtpraxis in die Laienwelt hinein. 305f
Der Merkantilismus ist ein Produkt des neuzeitlichen, im europäischen Staatensystem sich behauptenden Staates. Heckscher hat ihn daher u. a. als ein „Machtsystem“ charakterisieren können, das die Staatsmacht im Inneren gegen die partikularen Bindungen sichert und für die Behauptung nach Außen die entscheidenden Machtmittel, Menschen und Geld, bereitzustellen sucht. Daher ist Becher die „Civilsozietät eine volkreiche, nahrhafte Gemeinde“. Bevölkerungspolitik, „Peuplierung“ und Wirtschaftspolitik stehen hier im Vordergrund. 308
Die drei führenden deutschen Merkantilisten, Johann Joachim Becher (1635 bis 1682), Philipp Wilhelm von Hörnigk (1640 bis 1712) und Wilhelm von Schröder (1640 bis 1688), die alle am Wiener Kaiserhof tätig waren, waren ursprünglich wie Hohberg Protestanten. Aber anders als der Landedelmann Hohberg, der an seinem Glauben festhielt und schließlich außer Landes zog, waren sie zum Katholizismus übergetreten, der ihnen allein den Weg in österreichische Dienste öffnen konnte. Sie kamen von auswärts, aus dem Reich. Sie waren keine Edelleute, auch wenn sie ein Adelsprädikat erhielten, sondern Bürgerliche, die über das Studium den Weg in den Staatsdienst suchten und fanden. Sie gehören nicht wie Hohberg zur adelig-ständischen Welt, sondern zum Staat des Absolutismus und seinem Beamtentum. Besonders Wilhelm von Schröder hat in seiner „Fürstlichen Schatz- und Rentkammer“ einen ausgesprochenen Absolutismus vertreten. Philipp Wilhelm von Hörnigk ist der erste Vertreter der österreichischen „Gesamtstaatsidee“. 309
Die Wiener Behörden schoben den arbeitslosen „Fabrikenpövel“ einfach an die zuständige Herrschaft ab. Da diese kein Interesse an den Leuten hatte, setzte sie ihrer Rückkehr nach Wien kein Hindernis in den Weg. So konnte sich das Spiel beliebig oft wiederholen. Daraus erwuchs aber den an den Durchgangsstraßen gelegenen Herrschaften, die für Verpflegung und Unterkunft der Abgeschobenen zu sorgen hatten, eine unerträgliche Last. Das Problem war im bestehenden System einfach unlösbar. Es handelte sich eben nicht um „Vagabunden“, sondern um das soziale Problem der Arbeitslosigkeit des Industrieproletariats. Nicht minder kennzeichnend ist die Geschichte des noch in der Volkssage lebenden Räubers Johann Georg Grasel. Dieser Deserteur konnte jahrelang, gestützt auf die Hilfe, die ihm die Unterschicht der „unehrlichen Leute“, der Schinder, Gerichtsdiener, Kesselflicker, Hirten bot, das nördliche Niederösterreich bis hinein nach Mähren und Böhmen terrorisieren. Da eine staatliche Polizeigewalt auf dem Lande fehlte, waren die zahlreichen Landgerichte auf den umständlichen Weg der „Korrespondenz“ angewiesen und konnten seiner nicht habhaft werden. Die Landgerichte waren wesentlich für die in ihnen ansässigen Leute gedacht. Der Unterwelt der „schädlichen Leute“, voll von grauenhaftem Verbrechertum und dunkler Magie, hatte man sich immer nur mühsam durch standrechtartige, sehr summarische Verfahren zu erwehren gewußt. Was aber einmal selbstverständlich gewesen war, erschien nun nicht mehr als erträglich und wurde der „mittelalterlichen“ Welt der Grundherrschaft aufs Konto geschrieben. 318f
Die Robot ist, wie bekannt, ursprünglich eine außerordentliche Hilfe in der Not, sie entsprang der Treuepflicht des Untertanen gegen den ihn schützenden Grundherrn. Es widersprach daher dem Wesen dieses Verhältnisses, wenn die Robot zur regelmäßigen Arbeitspflicht erweitert wurde, wie dies namentlich im Bereich der Gutswirtschaft geschah. Wir kennen ja Hohbergs warnende Worte. Hier ist man denn auch zur Erbuntertänigkeit, der persönlichen Unfreiheit (Leibeigenschaft), fortgeschritten, die die erweiterte und regelmäßige Robot zu begründen imstande war. Schließlich sind es staatliche Gesetze, auf denen Pflicht und Ausmaß der Robot beruhte. Die außerordentliche Hilfe des Untertanen in der Not wird zur staatlich geordneten Arbeitspflicht des Bauern auf den Feldern des Großgrundbesitzers. In dieser Lage drang die rationelle Landwirtschaft vor. Man sollte meinen, daß die so gut wie lohnlose Arbeit der Roboter und die Beistellung des Arbeitsgeräts das Lohn- und Kapitalkonto des Großgrundbesitzes erheblich entlasteten und für die Berechtigten wirtschaftlich vorteilhaft waren. So dachte wohl auch ein Teil des Adels. In Wirklichkeit vertrugen sich rationelle Landwirtschaft und Robot nicht. Denn ihre Billigkeit wurde durch ihre Mangelhaftigkeit bei weitem aufgewogen. Hans Kudlich, der Bauernbefreier von 1848, der uns in seinen „Rückblicken und Erinnerungen“ ein anschauliches Bild von diesen Dingen auf den schlesischen Gütern des Fürsten Liechtenstein entworfen hat, hat aus seiner Jugenderfahrung den Satz formuliert: „Alle Robotarbeit war schlecht.“ So hat denn auch das Gesetz über die Grundentlastung den Robotarbeitstag nur mit einem Drittel eines freien Arbeitstages bewertet. Konnte man die herrschaftliche Eigenwirtschaft im Zeitalter der Dreifelderwirtschaft und des seichten Pflügens noch schlecht und recht mit der Robot betreiben, so mußte diese widerwillig und schleuderhaft geleistete Arbeit die Fruchtwechselwirtschaft, man denke an die steigende Bedeutung des Hackfruchtbaus, aufs stärkste hemmen. Es war wohl kein Zufall, daß die Fruchtwechselwirtschaft erst nach der Grundentlastung endgültig durchgedrungen ist. Zugleich aber hielten Robotpflicht und überkommene Agrarverfassung die bäuerliche Wirtschaft noch stärker in den überkommenen und nun überalteten Formen fest. Es nimmt unter diesen Umständen nicht Wunder, daß im Vormärz auch in den Kreisen der adeligen Grundherren die Einsicht Boden gewann, daß eine entscheidende Agrarreform unausbleiblich sei. Man begann einzusehen, daß Robot und Zehent aufgehoben werden müßten. Daß es dazu nicht kam, lag am Geist des Restaurationszeitalters, an der Scheu der regierenden Kreise, durch eine tiefergreifende Reform der Revolution den Weg zu bahnen. Derselbe Staat, der durch seine bürokratisch-absolutistische Struktur nicht das wenigste dazu beigetragen hatte, daß die Grundherrschaft von innen heraus zerstört wurde, hielt ihre äußere Form aufrecht. So hat erst die Revolution von 1848 zur Grundentlastung und damit zur vollständigen Liquidation der Grundherrschaft geführt. Das Gemeindegesetz von 1849 und die neue, von der absolutistischen Ära geschaffenen Verwaltungsorganisation übernahmen die Aufgaben der Herrschaft. Nennenswerter Widerspruch erhob sich von keiner Seite. Die Beschwerden, die Fürst Alfred Windischgrätz, der Wortführer des konservativen Adels, im Jahre 1850 dem Kaiser vortrug, beziehen sich auf das nach seiner Meinung zu geringe Ausmaß der Entschädigung. Mit der Beseitigung der Grundherrschaft hatte man sich abgefunden. 322f
Wir wissen heute, daß die Hochkulturen aus der Überschichtung von Ackerbauvölkern durch Hirtenkrieger, vor allem durch das Pferd beherrschende Reitervölker hervorgegangen sind. So war die Hochkultur durch Jahrtausende eine Welt der Herrschaft reiterlicher Herrenschichten auf dem Land und in der Stadt. Sie ruht aber überall auf dem paternal geordneten Pflugbauerntum auf. Diese adelig-bäuerliche Herrschaftswelt hat sich im neueren Europa und dessen überseeischen Siedlungsländern zur industriellen Welt der Arbeit gewandelt und diese ist nun daran, die ganze Erde zu ergreifen. Hier verschwindet nicht nur die adelige „Herrschaft“, sondern auch das „bäuerliche Haus“ wird als gültige Sozialform beiseite geschoben, wenn nicht überhaupt aufgelöst. Dieser neuen Welt ist es bisher nicht gelungen, dauernde Formen des menschlichen Zusammenlebens und ein ihr gemäßes Geistesleben zu gestalten. Wir leben noch immer in stärkstem Maße aus dem geistigen Erbe einer andersartigen Vergangenheit, ohne in ihm zwischen dem Dauernd-Gültigen, Allgemein-Menschlichen und dem Zeitbedingten, nun zur Vergangenheit Gewordenen mit Sicherheit scheiden zu können. Es gibt uns in vielem keine Antwort auf die uns bedrängenden Fragen mehr und doch können wir es nicht aufgeben, ohne vor dem Nichts zu stehen. Sollte hierin nicht eine der wesentlichen Wurzeln der geistigen Krise der Gegenwart liegen? 339