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Wiener Schule der Politik: Benjamin Constant

Rahim Taghizadegan am 24. November 2015

Der eloquente und vielgereiste Gelehrte des frühen europäischen
Liberalismus, einer der bedeutendsten Verteidiger von Freiheit und
Privatsphäre.

Ausgewählte Werke:

  • Werke in vier Bänden. Berlin: Propyläen Verlag, 1970-72

Freiheit

Die Freiheit hat einzig deshalb unschätzbaren Wert, weil sie unserem Geist angemessene Einsicht, unserem Charakter Stärke, unserer Seele Schwung verleiht. III/340

Die Freiheit ist in der Tat das Ziel einer jeden menschlichen Gemeinschaft: Auf sie stützt sich die öffentliche und private Moral, auf ihr beruhen alle Berechnungen von Handel und Gewerbe; ohne sie gibt es für die Menschen keinen Frieden, keine persönliche Würde, kein Glück. IV/217

Das Volk, das in unserer Zeit am meisten an seiner Freiheit hängt, ist auch dasjenige, das den größten Wert auf seine Daseinsfreude legt, und es hält auf seine Freiheit vor allem so sehr, weil es genügend Einsicht besitzt, um zu begreifen, daß sie die beste Garantie für eben diese Daseinsfreude ist. III/330

Fragen wir uns zunächst einmal, meine Herren, was in unseren Tagen ein Engländer, ein Franzose, ein Bewohner der Vereinigten Staaten unter Freiheit versteht. Für jeden von ihnen bedeutet sie das Recht, nur den Gesetzen unterstellt zu sein, das heißt, nicht auf Grund willkürlicher Willensentscheidungen einer oder mehrerer Personen verhaftet, gefangengesetzt, hingerichtet noch in irgendeiner Form mißhandelt zu werden. Für jeden von ihnen ist sie das Recht, seine Meinung zu äußern, sein Gewerbe zu wählen und es auszuüben, über sein Eigentum zu verfügen, ja es sogar zu mißbrauchen, kommen und gehen zu können, ohne deswegen um besondere Erlaubnis ansuchen zu müssen und ohne es nötig zu haben, über seine Beweggründe und Vorhaben Rechenschaft abzulegen. Für jeden ist zudem Freiheit auch das Recht, mit anderen zusammenzutreffen, sei es um mit ihnen über seine materiellen Interessen zu verhandeln, sei es um sich zu der Art von religiösem Kult zu bekennen, den er und seine Glaubensgenossen bevorzugen, sei es um einfach die Tage und Stunden in einer seinen Neigungen und Launen entsprechenden Weise auszufüllen. Schließlich bedeutet Freiheit auch für sie alle das Recht, auf die Regierung Einfluß zu nehmen, sei es durch Bestellung aller oder bestimmter Beamten, sei es durch Vorstellungen, Eingaben oder Anträge, die die Staatsgewalt zu berücksichtigen mehr oder weniger verpflichtet ist. IV/367f

Die persönliche Freiheit, ich sage es noch einmal, ist die wahre Freiheit unserer Tage. Die politische Freiheit gewährleistet sie: Sie ist demgemäß unentbehrlich. Wenn man jedoch von den heute lebenden Völkern verlangt, sie sollen gleich den früheren die Gesamtheit ihrer individuellen Freiheit der politischen zum Opfer bringen, so wählt man damit das sicherste Mittel, sie von der ersteren zu lösen; ist einem dann das gelungen, wird man nicht zögern, ihnen auch die andere zu rauben. IV/388

Weit davon entfernt also, meine Herren, auf eine von den beiden Freiheiten zu verzichten, […] muß man, wie ich darlegte, lernen, die eine mit der anderen zu verbinden. IV/395

Die antike Freiheit war dadurch gefährdet, daß die Menschen, die nur darauf bedacht waren, sich ihren Teil an der Staatsgewalt zu sichern, es mit den individuellen Rechten und Vorteilen eventuell zu leicht nehmen konnten. IV/392f

Schließlich sollte man, wenn man den Weg der Freiheit gehen will, wissen, daß dieser allen offen stehen muss, wenn man will, daß er überhaupt für jemanden existiert, und daß Charakter und Verdienst derjenigen, die ihr dienen, darin bestehen, daß sie sie auch in der Person ihrer Gegner ehren. Ebenso darf man, wenn man die persönliche Freiheit zu verteidigen behauptet, sich nicht darüber erregen, daß die Zahl der Inhaftierten sich vermindert, und wenn man für die Unantastbarkeit des Wahlrechts eintritt, sich nicht dagegen empören, daß Männer, die dem Gesetz nach wahlberechtigt sind, dieses Recht auch ungehindert ausüben dürfen. IV/341

Willkür

Die Willkür dient dem Machtmißbrauch besser als irgendeine feste Institution, wie mangelhaft sie auch sei. Daher müssen die Freunde der Freiheit selbst mangelhafte Gesetze den Gesetzen vorziehen, die der Willkür Raum gewähren, weil es wohl möglich ist, die Freiheit unter unzulänglichen Gesetzen zu erhalten, Willkür hingegen jede Freiheit unmöglich macht. Die Willkür ist also der Hauptfeind jeder Freiheit, das Übel, das jede Institution zugrunde richtet, der Todeskeim, den nichts entkräften kann, den man vielmehr vernichten muss. III/196

Was die Menschen mit dem von ihnen gestifteten Guten verbindet, ist die Hoffnung, es möge von Dauer sein. Niemals aber können diejenigen, die Gutes mit Hilfe von Willkür schaffen, diese Hoffnung heben. Denn die Willkür von heute bereitet der von morgen den Weg; diese aber kann der früheren vollkommen zuwiderlaufen. III/195

Im Bereich der Moral würde Willkür das Ende aller Moral bedeuten. Denn da die Moral eine Summe von Verhaltensregeln ist, auf die die einzelnen in ihren wechselseitigen sozialen Beziehungen zu rechnen imstande sein müssen, würde es auch keine Moral mehr geben, wo es keine Regeln mehr gibt. Da aber die Moral in ständigem Kontakt mit den Interessen jedes einzelnen steht, haben alle, ohne es zu wissen, sich rein instinktmäßig einer Einführung der Willkür in die Moral widersetzt. III/188f

Willkür ist die Feindin aller geschäftlichen Unternehmungen, auf die sich der Wohlstand der Völker gründet. Sie erschüttert den Kredit, richtet den Handel zugrunde, zerstört alle Sicherheiten. Wenn ein einzelner unschuldig leiden muß, fühlt sich jeder Einsichtige bedroht, und das mit gutem Grund, denn die Rechtsgarantie ist zerstört; alle Geschäfte leiden darunter, die Erde bebt, und man geht nur noch unter Schaudern über sie hin. IV/218

Die Willkür ist nicht nur unheilvoll, wenn man sich ihrer zum Zweck eines Verbrechens bedient. Auch noch gegen das Verbrechen verwendet, birgt sie Gefahren in sich. Dieses Werkzeug der Unordnung ist ein schlechtes Mittel, Ordnung wiederherzustellen. III/194

Was ohne Willkür eine Reform wäre, wird durch sie zur Revolution, das heißt zum Umsturz. Das, was ohne Willkür eine Wiedergutmachung wäre, wird durch sie zur Reaktion, das heißt zu rachsüchtigem Wüten. III/199

Zweifellos gibt es für jedes Staatswesen Augenblicke einer Gefahr, die bei aller menschlichen Klugheit nur mit Mühe eingedämmt werden kann. Doch nicht durch Gewalt oder Missachtung der Gerechtigkeit können solche Gefahren ausgeschaltet werden, sondern gerade dadurch, daß man sich umso gewissenhafter an die bestehenden Gesetze, die der Sicherheit dienenden Rechtsformen und an die dem Mißbrauch vorbeugenden Rechtsgarantien hält. III/386

Was vor Willkür schützt, ist die Beobachtung der Rechtsformen. Diese Rechtsformen sind die Schutzgottheiten der menschlichen Gemeinschaften; sie allein sind die Hüterinnen der Unschuld, sie allein die mögliche Grundlage der Beziehungen der Menschen untereinander. Alles andere liegt im dunklen, ist dem Gewissen des einzelnen, dem Schwanken der Meinung ausgesetzt. IV/221

Was ihr auf Grund des Gesetzes gegen eure Feinde unternehmt, können eure Feinde gegen euch auf Grund des Gesetzes nicht machen, denn das Gesetz ist präzise und formal eindeutig. Es kann euch nicht treffen, die ihr unschuldig seid. Was ihr aber auf Grund von Willkür gegen eure Feinde unternehmt, können eure Feinde gleichermaßen auf Grund von Willkür euch antun. Denn die Willkür ist unbestimmt und kennt keine Grenzen. Sie trifft euch unterschiedslos, ob ihr unschuldig seid oder nicht. III/192

Presse

Der einzige Schutz des Bürgers gegen die Willkür besteht in der Öffentlichkeit, und die leichteste und konkreteste Form der Öffentlichkeit ist die, die einem die Zeitungen ermöglichen. IV/281

Die Macht der Worte über die Menschen ist hinlänglich bekannt. Diese Macht ist zuweilen unheilvoll, oft aber auch sehr nützlich. Die Worte üben auf uns einen so großen Einfluß aus, daß sie die Ideen erst heraufführen. III/96f

Wir wollen durch die Pressefreiheit keineswegs der Leidenschaft des Hasses oder der Verleumdung freie Bahn eröffnen. Wir wünschen Gedankenfreiheit und Ruhe für den einzelnen. IV/277f

Gesetze

Seid gerecht, werde ich immer den Trägern der Macht zurufen. Seid gerecht, was auch geschehen mag, denn wenn ihr nicht mit der Gerechtigkeit zu regieren imstande seid, werdet ihr auch mit Ungerechtigkeit nicht allzu lange regieren. III/386

Wenn man von gesetzlichen Vereinbarungen spricht, darf man ein erstes Prinzip nicht aus den Augen verlieren, nämlich das, daß solche Übereinkünfte nichts Natürliches und Unverständliches, sondern etwas künstlich Geschaffenes sind, das Wandlungen durchmachen kann und nur dazu da ist, um die Stelle von noch wenig bekannten Wahrheiten einzunehmen und um momentanen Bedürfnissen zu genügen; demensprechend müssen sie verbessert, vervollkommnet und vor allem in dem Maße, in dem jene Wahrheiten offenbar werden oder diese Bedürfnisse sich verändern, eingeschränkt werden. IV/420

Ob die Gesetze gut sind, ist weit weniger wichtig als die Frage, in welchem Geiste die Nation sich ihren Gesetzen unterordnet und sie befolgt. Wenn sie an ihnen hängt und sie einhält, weil sie ihr aus einem geheiligten Quell hervorgegangen und als die Hinterlassenschaft von Generationen erscheinen, deren gute Geister sie verehrt, so verbinden jene sich aufs engste mit ihren sittlichen Vorstellungen; sie veredeln ihren Charakter, und selbst wenn sie Mängel aufweisen, bringen sie doch mehr Tugenden und dadurch mehr Glück hervor als bessere Gesetze, die sich auf nichts anderes stützen würden als auf den Befehl der Staatsmacht. III/280f

Je allgemeiner ein Gesetz gehalten ist, desto mehr entfernt es sich von den speziellen Fällen, für deren Beurteilung es die Grundlage abgeben soll. Ein Gesetz kann sich immer nur für einen einzigen Fall als völlig gerecht erweisen; sobald es sich auf zwei Fälle bezieht, die auch nur im geringsten voneinander abweichen, ist es in einem dieser Fälle mehr oder weniger ungerecht. […] Das Gesetz kann sehr wohl als ein allgemeines Gesetz gerecht sein, das heißt, es kann mit Recht für eine bestimmte Tat eine bestimmte Strafe verhängen. Dennoch braucht das Gesetz in seiner Anwendung auf einen besonderen Fall nicht unbedingt gerecht zu sein, das heißt eine Tat, die rein materiell betrachtet der gleicht, auf die das Gesetz zielt, weicht möglicherweise dennoch in einem ganz realen, wiewohl rechtlich nicht zu erfassenden Sinn von dieser ab. Das Begnadigungsrecht ist nichts anderes als die Vermittlung zwischen dem allgemeinen Gesetz und dem, was, auf einen besonderen Fall bezogen, gerecht ist. IV/238

Ich glaube, daß die öffentliche Sicherheit vor allem dann in Gefahr ist, wenn die Bürger in der Staatsmacht eine Bedrohung statt einen Schutz sehen. Ich glaube, daß Willkür der wahre Feind der öffentlichen Sicherheit ist und daß das Dunkel, mit dem die Willkür sich umgibt, die Gefahren nur vermehrt. Ich glaube, daß öffentliche Sicherheit einzig in Gestalt von Gerechtigkeit, Gerechtigkeit nur durch die Gesetze existiert und daß Gesetze nur bei rechtmäßigem Verfahren wirksam sein können. Ich glaube, daß die Freiheit eines einzigen Bürgers die Gemeinschaft so sehr interessiert, daß jeder Fall gewaltsamen Vorgehens gegen ihn seinen natürlichen Richtern bekannt werden muß. Ich glaube, daß dies das wichtigste, heiligste Ziel jedes politischen Systems sein muß. IV/109

Bei allen Fragen, die eine moralische Seite haben und komplizierter Natur sind, kann man den Urteilsspruch durch Geschworene nicht entbehren. […] Das geschriebene Gesetz kann nicht alle Nuancen erfassen und sie alle abwägen. Der gesunde Menschenverstand, das allen Menschen gemeinsame normale Empfinden weiß hingegen diese Nuancen richtig einzuschätzen. Die Geschworenen sind aber ja Repräsentanten des gesunden Menschenverstandes. IV/143

Terror der Französischen Revolution

Private Verwirrungen, schreckliche, jedoch rasch vorübergehende gesetzwidrige Mißstände ergeben noch keinen Terror. Er existiert erst, wenn das Verbrechen von der Regierung zum System erhoben wird, und nicht, solange sie es befehdet; dann erst, wenn die Regierung ihn befiehlt, nicht aber solange sie gegen ihn ankämpft; erst, wenn sie das Wüten der Übeltäter organisiert, nicht aber, solange sie die Gutgesinnten zu Hilfe ruft. III/222

Größte Zurückgezogenheit, ein völlig passives Dasein, ein Name, von dem niemand etwas wusste, erwiesen sich als unwirksamer Schutz. Mangelnde Beteiligung erschien bereits als Verbrechen, Liebe zu Heim und Familie als schnödes Vergessen des Vaterlandes, das Verlangen nach Glück galt als verdächtige Regung. Die Menge, zugleich durch die ständige Gefahr und durch das Beispiel feige geworden, sagte zitternd immer wieder das befohlene Glaubensbekenntnis auf und erschrak beim Klang der eigenen Stimme. Jeder zählte sich dazu und jeder entsetzte sich zugleich vor der Zahl, zu deren Ansteigen er selber beigetragen hatte. So verbreitete sich über ganz Frankreich jener unerklärliche Taumel, den man Schreckensherrschaft genannt hat. III/344

Souveränität

Unsere gegenwärtige Verfassung erkennt in aller Form das Prinzip der Volkssouveränität, das heißt den Vorrang des Willens der Allgemeinheit (volonté générale) vor jedem Sonderwillen (volonté particuliére) an. […] Sobald man aber die Rechte dieses Willens, das heißt die Volkssouveränität anerkennt, wird es dringend notwendig, deren Natur richtig zu erfassen und ihren Ausdehnungsbereich zu bestimmen. Ohne eine exakte und eindeutige Definition könnte der Triumph der Theorie in der Praxis zu einem großen Unglück führen. Die abstrakte Anerkennung des Prinzips der Volkssouveränität vermehrt in nichts das Maß der Freiheit des einzelnen, und wenn man dieser Souveränität einen Spielraum zuerkennt, den sie nicht haben sollte, kann die Freiheit diesem Prinzip zum Trotz oder sogar durch seine Einwirkung zugrunde gehen. IV/17f

Das allgemeine Interesse unterscheidet sich zweifellos von den Einzelinteressen, aber es steht durchaus nicht im Widerspruch zu ihnen. Man redet immer so, als ob dem einen zugute käme, was die anderen verlieren; im Grunde aber ist es nur das Ergebnis dieser kombinierten Interessen; es unterscheidet sich von ihnen nur in der Weise, wie ein Ganzes sich von seinen Teilen unterscheidet. Die individuellen Interessen sind das, was den Einzelpersonen am wichtigsten erscheint; die Interessen bestimmter Gruppen das, was diese Gruppen vor allem im Auge haben; die Einzelpersonen und Gruppen zusammen jedoch bilden das politische Ganze. Die Interessen dieser Einzelpersonen und dieser Gruppen sind demgemäß das, was geschützt werden muss; wenn man sie alle schützt, so wird man allein dadurch schon von jedem das fortlassen, was etwa für die anderen sich als schädlich erweisen könnte, und nur dadurch kann sich das wirkliche öffentliche Interesse ergeben. Dieses öffentliche Interesse ist nichts anderes als die Summe der Einzelinteressen, die wechselseitig außerstande gesetzt sind, sich zu schaden. IV/68f

Zur Stützung dieser neuen Art von Intoleranz hat man häufig Rousseau zitiert, der alle freiheitlichen Theorien liebte und zugleich Vorwände für alle Ansprüche der Tyrannei geliefert hat. „Es gibt“, so sagt er, „ein rein staatsbürgerliches Glaubensbekenntnis, dessen Artikel festzusetzen dem Souverän zusteht, nicht in der Art religiöser Dogmen, sondern als Ausdruck des Gefühls der Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft. Ohne daß er jemanden zwingen kann, an diese Dogmen zu glauben, kann er doch jeden aus dem Staat verbannen, der nicht an sie glaubt, nicht weil er gottlos ist, wohl aber, weil er sich der Gesellschaft nicht einfügt.“ Was ist denn der Staat, daß er über die Gefühle bestimmen kann, die man sich zu eigen machen muß? Was für einen Wert hat es für mich, daß der Souverän mich nicht zwingt, etwas zu glauben, wenn er mich für das bestraft, was ich nicht glaube? Was hilft es mir, daß er mich nicht als Gottlosen belangt, wenn er mich als unsoziales Wesen bestraft? Was hilft es mir, wenn die Staatsmacht sich nicht auf die Subtilitäten der Theologie einläßt, wohl aber sich in einer hypothetischen Moral verliert, die nicht minder subtil ist und die genauso wie jene dem staatlichen Entscheidungsrecht entzogen ist? Ich kenne kein System der Sklaverei, das heillosere Irrtümer gutgeheißen hätte als die ewige Metaphysik des „Contrat social“. IV/192f

Wenn die Souveränität nicht begrenzt ist, gibt es kein Mittel, die Individuen vor den Regierungen zu schützen. IV/24

Keine politische Ordnung kann dieser Gefahr entgehen. Sie bleibt bestehen, auch wenn man die Gewalten teilt. Wenn die Gesamtsumme der Macht unbegrenzt ist, brauchen die geteilten Gewalten nur eine Koalition einzugehen, und schon gibt es gegen den Absolutismus kein Mittel mehr. IV/25

In einer auf die Volkssouveränität gegründeten politischen Gemeinschaft steht fest, daß es keiner Einzelpersönlichkeit, keiner sozialen Gruppe zusteht, die übrigen ihrem Sonderwillen zu unterwerfen; aber es ist falsch, daß die Gemeinschaft insgesamt ihren Gliedern gegenüber über eine unbegrenzte Souveränität verfügt. Die Gemeinschaft der Bürger ist der Souverän in dem Sinne, daß kein Individuum, keine Partei, keine partielle Vereinigung sich die Souveränität anmaßen kann, wenn sie ihr nicht übertragen wurde. Daraus folgt aber nicht, daß die Gesamtheit der Bürger oder diejenigen, die von dieser mit der Ausübung der Souveränität betraut worden sind, in unbeschränkter Form über die Existenz der einzelnen verfügen können. Es gibt im Gegenteil einen Teil der menschlichen Existenz, der notwendigerweise privat und unabhängig bleibt und der sich von Rechts wegen außerhalb jeder Kompetenz der Gemeinschaft befindet. Die Souveränität besteht nur in einem begrenzten und relativen Sinn. Da, wo private Unabhängigkeit und Eigenexistenz beginnen, hört die Zuständigkeit dieser Souveränität auf. Wenn die Gemeinschaft diese Linie überschreitet, macht sie sich ebenso schuldig wie der Despot, dem als Emblem seiner Macht nur das Schwert der Ausrottung zur Verfügung steht; die Gemeinschaft kann die Grenzen ihres Machtbereichs nicht mißachten, ohne usurpatorisch, die Mehrheit nicht, ohne aufrührerisch zu werden. Die Zustimmung der Mehrheit genügt keineswegs in allen Fällen, um ihre Taten zu legitimieren. IV/19f

Der Souverän hat das Recht zu strafen, jedoch nur, wo es um schuldhafte Handlungen geht. Er hat das Recht, Krieg zu führen, aber ausschließlich dann, wenn die Gemeinschaft angegriffen worden ist. Er hat das Recht, Gesetze zu erlassen, indessen nur, wenn diese Gesetze notwendig sind und der Gerechtigkeit entsprechen. Es gibt infolge dessen nichts Absolutes, nichts Willkürliches in seinen Befugnissen. IV/23f

Vertretungskörperschaften und Parteien

Zweifelsohne kann keine Form von Freiheit in einem großen Land bestehen ohne starke, große und unabhängige Vertretungskörperschaften, doch sind diese Körperschaften nicht ungefährlich, und gerade im Interesse der Freiheit muß man auf unfehlbare Mittel sinnen, Auswüchse zu verhindern. Allein schon die Tendenz von Vertretungskörperschaften, die Zahl der Gesetze ins Unendliche wachsen zu lassen, ist ein Mißstand, gegen den es kein Mittel gibt, wenn man sie nicht durch sofortige Auflösung und Neuwahlen, die neue Kräfte hereinbringen, in ihrem stürmischen Lauf, der keine Hindernisse kennt, aufhält. IV/49f

Eine mit unbegrenzter Machtvollkommenheit ausgestattete Vertretungskörperschaft ist gefährlicher als das Volk. IV/52

Die Vertretungskörperschaften neigen, mag ihre Zusammensetzung noch so sehr von Gruppeninteressen bestimmt sein, allzu sehr dazu, sich einen Korpsgeist anzueignen, der sie von der Nation isoliert. In der Hauptstadt, fern von dem Volksteil, der sie gewählt hat, verlieren die Volksvertreter die Gewohnheiten, Bedürfnisse, die ganze Daseinsform des Departements, das sie repräsentieren, aus den Augen; sie gehen geringschätzig und übertrieben großzügig mit diesen Dingen um. IV/70

Man kann nicht hoffen, jemals in einer politischen Ordnung, in der man die Vorteile der Freiheit erhalten will, Parteiungen auszuschließen. Man muß also bestrebt sein, diese Parteiungen in einen Zustand größtmöglicher Harmlosigkeit zu erhalten, und da es sich nicht vermeiden läßt, daß sie manchmal den Sieg davontragen, heißt es von vornherein die Unzuträglichkeiten zu umgehen oder zu mildern, die sich aus diesem Sieg ergeben könnten. IV/101

Bezahlung von Volksvertretern

Die Volksvertreter, die im Vordergrund des Interesses stehen und auf Ruhm hoffen können, brauchen keine Bezahlung. IV/230

Wenn man die Vertreter des Volkes bezahlt, so weckt man in ihnen nicht das Interesse, ihre Funktionen gewissenhaft zu erfüllen, man interessiert sie vielmehr nur daran, sich die Ausübung dieser Funktionen auch weiterhin zu sichern. […] Indessen ist es wünschenswert, daß die Vertreter des Volkes im allgemeinen Männer sind, die, wenn sie sich auch nicht gerade in einer glänzenden Lage befinden, so doch in einem gewissen Wohlstand leben. Sie haben einen günstigeren Start gehabt, ihre Erziehung war sorgfältiger, ihr Geist ist unbeschwerter, ihr Verstand besser für richtige Einsichten vorbereitet. Die Armut hat ebenso ihre Vorurteile wie die Unwissenheit. Wenn nun die Volksvertreter keinerlei Gehalt empfangen, so vereint man Macht und Besitz, beläßt aber den zu Recht bestehenden Ausnahmen von der Regel eine angemessene Chance. IV/79

Man kann die ehrgeizigen Männer nicht von öffentlichen Ämtern ausschließen: Schließen wir wenigstens die Habgierigen aus! IV/80

Verfassung

Eine Verfassung ist die Garantie für die Freiheit eines Volkes; infolgedessen ist alles, was auf Freiheit zielt, verfassungsmäßig und ebenso alles, was nicht auf sie hin angelegt ist, auch nicht verfassungsgemäß. III/198

Solange man eine Verfassung nicht in der Praxis erprobt hat, stehen die Verfahrensformen nur auf dem Papier: Die Praxis allein beweist ihre Wirkung und bestimmt ihren Sinn. Wir haben nur allzu oft schon das Gebäude unter dem Vorwand abgerissen, es neu erbauen zu wollen. IV/105

Der Fehler fast aller Verfassungen hat darin bestanden, daß sie keine neutrale Gewalt geschaffen, sondern die Gesamtheit der Autorität, über die jene verfügen sollte, einer der aktiven Gewalten übertragen haben. IV/34

Konstitutionelle Monarchie

Die exekutive, die legislative, die Recht sprechende Gewalt repräsentieren drei staatliche Bereiche, die, jeder zu seinem Teil, bei dem allgemeinen Gang der Dinge zusammenwirken müssen. Sind aber diese Bereiche nicht eindeutig getrennt, so daß ihre Befugnisse sich kreuzen, einander beeinträchtigen und behindern, bedarf es einer Kraft, die ihnen wieder ihren Platz zuweist. Diese Kraft darf nicht aus einem jener Bereiche selbst kommen, denn sie würde diesem dann dazu dienen, die anderen lahm zu legen. Sie muss außerhalb von ihnen existieren und in gewisser Weise neutral sein, damit sie sich wirklich überall da betätigt, wo sie in Aktion treten muß, und sich erhaltend und wiederherstellend auswirkt, ohne feindselig aufzutreten. Die konstitutionelle Monarchie schafft eine solche neutrale Gewalt in der Person des Staatsoberhaupts. IV/32

Die königliche Gewalt (ich verstehe darunter die des Staatsoberhaupts, ganz gleich, welchen Titel es trägt) ist eine neutrale Gewalt, die der Minister hingegen eine aktive. IV/32

Die konstitutionelle Monarchie bietet uns […] diese neutrale Gewalt, die für eine geregelte Freiheit so unerläßlich ist. Der König ist in einem freien Land ein Wesen für sich, das über dem Zwiespalt der Meinungen steht und kein anderes Interesse hat, als Ordnung und Freiheit aufrechtzuerhalten. […] Er schwebt sozusagen über allen Wirrnissen des menschlichen Treibens. IV/35f

Das Wesen des Königtums in einer konstitutionellen Monarchie besteht in der Unabhängigkeit bei den Ernennungen, zu denen der König befugt ist. Niemals handelt der König in seinem eigenen Namen. Über allen Gewalten stehend, bestellt er die einen, mäßigt die anderen und lenkt das politische Geschehen, indem er seinen Einfluß darauf ausübt, ohne an ihm teilzunehmen. Daraus ergibt sich seine Unverletzlichkeit. Man muß ihm also diese Prärogative in vollem Umfang und ohne Einspruch lassen. IV/134

Die Monarchie, so wie sie in den meisten europäischen Staaten besteht, ist eine durch die Zeit gewandelte und durch Gewohnheit gemilderte Regierungsform. Um sie herum gruppieren sich vermittelnde Gremien, die sie zugleich stützen und ihr Grenzen setzen. Die geregelte, friedliche Weitergabe der Macht erleichtert die Unterwerfung unter sie und bewirkt, daß diese Macht weniger Mißtrauen erregt. Der Monarch ist gewissermaßen ein abstraktes Wesen. Man sieht in ihm weniger eine Einzelperson als vielmehr ein ganzes Geschlecht von Königen, eine jahrhundertealte Tradition. Die usurpierte Herrschergewalt ist eine Macht, die durch nichts modifiziert oder gemildert wird. Sie wird zwangsläufig in ihrem Wesen von der Persönlichkeit des Ursurpators geprägt, einer Persönlichkeit, die durch den Zwiespalt zwischen ihr selbst und allen früheren Interessen sich in einem Zustand steten Argwohns und ständiger Feindseligkeit befinden muß. III/301f

Ein Monarch gelangt auf noble Weise auf den Thron. Ein Usurpator erschleicht ihn sich durch Schlamm und Blut hindurch, und wenn er sich auf ihm niederläßt, trägt sein beflecktes Gewand noch die Spuren des Weges, den er durchlaufen hat. Glaubt man etwa, der Erfolg werde ihn wie mit einem Zauberstab von der Vergangenheit reinigen? Ganz im Gegenteil! Selbst wenn er zuvor noch nicht korrupt gewesen wäre, würde der Erfolg genügen, ihn zu verderben. III/304

Ein Monarch, der den Thron besteigt, den seine Vorfahren schon innehatten, folgt einer Bahn, die er nicht aus eigenem Willensimpuls eingeschlagen hat. Er muss nicht erst seinen Ruf begründen. Er ist einzig in seiner Art, man vergleicht ihn mit keinem anderen Menschen. Ein Usurpator ist allen Vergleichen ausgesetzt, die durch Trauer um Vergangenes, Neid oder Hoffnung den Menschen in den Sinn kommen. Er ist gezwungen, seinen Aufstieg zu rechtfertigen. Er hat die stillschweigende Verpflichtung auf sich genommen, auf einen so großen Glücksfall große Taten folgen zu lassen. Er muß fürchten, die Erwartungen der Öffentlichkeit zu enttäuschen, die er selbst zuvor mit so großem Nachdruck geweckt hat. […] Nun bedeutet es sicherlich einen Vorteil, zu großen Dingen befähigt zu sein, wenn das allgemeine Wohl es verlangt. Aber es wird zu einem Übel, wenn man um der Behauptung seines eigenen Ansehens willen, ohne Rücksicht auf das Wohl der Gemeinschaft, zu großen Dingen verurteilt ist. III/303

Kleinräumigkeit und Subsidiaritäts-Prinzip [lat. subsidium = Hilfe, Reserve]

Man redet unaufhörlich von dem großen Reich, der Nation in ihrer Gesamtheit, das heißt von abstrakten Begriffen, die keine tatsächliche Realität besitzen. Das große Reich ist ein Nichts, wenn man es unabhängig von den Provinzen betrachtet; die Nation in ihrer Gesamtheit ist nichts, wenn man sie von den einzelnen Gruppen abstrahiert, aus denen sie sich zusammensetzt. Indem man die Rechte dieser Gruppen verteidigt, verteidigt man das Recht der gesamten Nation, denn sie findet sich in jedem Einzelnen ihrer Teile wieder. III/285

Große Staaten haben große Nachteile. Die Gesetze entstehen an einem Ort, der von denen, an denen sie Anwendung finden sollen, so weit abgelegen ist, dass ernste, sich häufende Irrtümer die unvermeidliche Folge dieser Entfernung sind. […] Die Bewohner entlegenster Provinzen werden plötzlich durch unerwartete Neuerungen, unverdient strenge Maßnahmen oder verwirrende Anordnungen überrascht, die alle ihre Berechnungen und alle dem Schutz ihrer Interessen dienenden Einrichtungen über den Haufen werfen, weil zweihundert Meilen von ihnen entfernt lebende Männer, die ihnen gänzlich unbekannt sind, gemeint haben, irgendwelchen Gefahren im voraus begegnen zu müssen, irgendeine Unruhe zu erraten oder irgendeinen nützlichen Zweck zu erkennen. III/285

Was nur eine bestimmte Gruppe betrifft, muß durch diese Gruppe entschieden werden, was sich allein auf eine Einzelperson bezieht, obliegt dieser Einzelperson. [Subsidiaritätsprinzip] IV/149

Man stelle sich eine Nation von einer Million Einzelpersonen vor, die sich auf eine beliebige Zahl von Gemeinden verteilen; in jeder Gemeinde wird jeder einzelne Interessen haben, die nur ihn betreffen und die infolgedessen nicht der Entscheidungsgewalt der Gemeinde unterstehen. Es wird andere Interessen geben, die auch die übrigen Bewohner der Gemeinde interessieren; diese Fragen fallen in den Kompetenzbereich der Gemeinde. Die Gemeinden ihrerseits werden Interessen haben, die nur sie betreffen, aber auch andere, die sich auf das Arrondissement erstrecken. Erstere werden ausschließlich in das Ressort der Gemeinde fallen, letzere in das des Arrondissements und so aufsteigend weiter bis zu den allgemeinen Interessen, die alle Individuen angehen, aus denen die Gesamtbevölkerung sich zusammensetzt. Es ist klar, dass nur über die Interessen dieser letztgenannten Art das gesamte Volk oder seine Repräsentanten eine Entscheidungsgewalt haben und daß sie, wenn sie sich in die Interessen eines Arrondissements, einer Gemeinde oder eines einzelnen einmischen, ihre Kompetenzen überschreiten. Das gleiche wäre der Fall, wenn das Arrondissement in die Sonderinteressen einer Gemeinde oder die Gemeinde in die rein privaten Interessen eines ihrer Mitglieder eingreifen wollte. IV/149f

Der Westfälische Friede [beendete 1648 den Dreißigjährigen Krieg] gab dem Deutschen Reich eine ungemein komplizierte Form durch die Aufteilung dieses gewaltigen Komplexes in eine Unzahl von Kleinstaaten, der jedoch das deutsche Volk fast ausnahmslos anderthalb Jahrhunderte innenpolitischer Freiheit und einer milden, maßvollen Führung verdankte. Allein daraus, daß dreißig Millionen Einwohner sich unter eine verhältnismäßig große Zahl voneinander unabhängiger Fürsten aufgeteilt sahen, deren scheinbar unumschränkte Machtvollkommenheit in Wirklichkeit durch den geringen Umfang ihres Territoriums stark gemindert wurde, ergab sich für diese dreißig Millionen eine alles in allem friedliche Existenz, beträchtliche Sicherheit, fast vollkommene Meinungsfreiheit sowie für den gebildeten Teil der Gesellschaft die Möglichkeit der Pflege literarischer Kultur, der Vervollkommnung in den schönen Künsten und der Erforschung der Wahrheit. I/345f

Krieg

Die handeltreibenden Nationen im modernen Europa, die, arbeitsam und gesittet, auf einem Territorium leben, dessen Größe ihnen vollauf genügt, und die mit den anderen Völkern Beziehungen pflegen, deren zeitweiliger Abbruch katastrophale Auswirkungen hätte, haben von Eroberungen nichts zu erhoffen. Ein unnötiger Krieg ist also heutzutage der größte Frevel, den eine Regierung begehen kann: Er erschüttert, ohne dafür einen Ausgleich zu bieten, alle sozialen Sicherheiten. Er gefährdet alle Arten der Freiheit, verletzt alle Interessen, lastet auf dem Vermögen jedes einzelnen, vereint und rechtfertigt alle Spielarten der inneren und äußeren Tyrannei. Er bewirkt, daß in der Rechtsprechung die Verfahren mit einer Hast abgewickelt werden, die sich zerstörerisch auf ihre Würde wie auch auf ihren Zweck auswirkt. Er regt die Staatsmacht dazu an, allen ihren Beamten mißliebige Individuen als Helfershelfer des Feindes hinzustellen, er verdirbt die kommenden Generationen; er spaltet die Bevölkerung in zwei Lager, die sich gegenseitig verachten, und gelangt leicht von der Verachtung zur Ungerechtigkeit; er bereitet künftige Zerstörungen durch vergangene vor; er erkauft mit den gegenwärtigen Leiden solche, die in der Zukunft liegen. III/292

Eine Regierung, die heute ein europäisches Volk zu Krieg und Eroberung treiben wollte, würde einen groben, verhängnisvollen Anachronismus begehen. […] Unser Jahrhundert, das alles nach seinem Nutzen bewertet und das, wenn man es aus dieser Sphäre herausführen will, allem wirklichen oder künstlichen Enthusiasmus nur mit Ironie begegnet, würde niemals bereit sein, sich mit großem Ruhm zufrieden zu geben, den allem übrigen vorzuziehen nicht mehr unserer Gewohnheit entspricht. An die Stelle dieses Ruhmes müßte man das Vergnügen setzen, an die des Triumphes die Plünderung. Nur mit Erschütterung kann man sich vorstellen, was das für ein militärischer Geist sein würde, der sich nur auf diese Antriebe stützte. III/247

In gewissen Lebensabschnitten sind Unterbrechungen in der Übung der geistigen Fähigkeiten nicht wieder gut zu machen. Die durch Zufall bestimmten, sorglosen, derben Gewohnheiten des Kriegerstandes, der plötzliche Abbruch aller häuslichen Beziehungen, automatische Unselbständigkeit, wenn man nicht vor dem Feind steht, völlige Unabhängigkeit jedoch, soweit es die Sitten betrifft, und das in einem Alter, in dem die Leidenschaften am heftigsten gären – das alles sind Dinge, die für Moral und Geistesbildung keineswegs gleichgültig sind. […] Wenn man den Sohn des Handelsherrn, des Künstlers, des Beamten, den jungen Mann, der sein Dasein den Geisteswissenschaften, der Naturforschung, einem schwierigen und komplizierten Gewerbe geweiht hat, zum Soldatenstand preßt, so bringt man ihn um jede Frucht seiner Erziehung. […] So wird die Nation sittlich herunterkommen und zusehends in Unwissenheit verfallen. III/269f

Keine Überlegung kann ins Gewicht fallen, wenn es darum geht, einen Angreifer abzuwehren. Dann müssen alle sozialen Gruppen zu den Waffen eilen, weil alle gleichermaßen bedroht sind. Da aber in diesem Fall ihr Motiv nicht schändliche Plünderungssucht ist, nehmen sie dabei seelisch keinen Schaden. Da ihr Eifer sich auf Überzeugung stürzt, wird jeder Zwang überflüssig sein. III/271

Es ist eine Sache, sein Vaterland zu verteidigen, eine andere, Völker anzugreifen, die auch ihrerseits eine Heimat zu verteidigen haben. Der Geist der Eroberung versucht, diese beiden Ideen miteinander zu vermischen. Wenn gewisse Regierungen ihre Legionen von einem Pol zum anderen hetzen, reden sie noch immer von der Verteidigung des heimischen Herds. Man möchte fast meinen, daß sie als ihren Herd alle Orte bezeichnen, wo sie Feuer gelegt haben. III/271

Bei den Alten hat die Eroberung oft ganze Nationen vernichtet; doch wenn sie sie nicht vernichtete, so ließ sie alles unangetastet, was den Menschen das Teuerste war: ihre Sitten, Gesetze, Bräuche, ihre Götter. Nicht so in der Moderne. Der aufgeblasene Geist der Zivilisation wirkt sich quälender aus als der hochfahrende Sinn des Barbarentums. […] Die Eroberer des Altertums ließen es bei der Erreichung allgemeinen Gehorsams bewenden und kümmerten sich nicht um das Privatleben ihrer Sklaven oder um ihre örtlichen Verhältnisse. Die unterworfenen Völker fanden in ihren entlegenen Provinzen fast unversehrt wieder vor, was den Reiz des Lebens ausmacht: die Gewohnheiten ihrer Kindheit, die geheiligten Bräuche, die erinnerungsträchtige Umwelt, die ungeachtet politischer Unterwerfung einem Land den Charakter der Heimat bewahrt. Die Eroberer unserer Tage, ob Völker oder Fürsten, wollten hingegen, daß ihr Reich eine einheitliche Oberfläche erhält, auf der das stolze Auge des Machthabers sich ergeht, ohne irgendeiner störenden, die Aussicht behinderten Unebenheit zu begegnen. Das gleiche Gesetzbuch, die gleichen Maßnahmen, die gleichen Verordnungen und, wenn möglich, auch nach und nach noch die gleiche Sprache – darin sieht man die Vollendung aller sozialen Organisation. […] Daraus folgt, daß die Besiegten nach den Leiden ihrer Niederlage eine neue Art von Unglück über sich ergehen lassen müssen. Erst sind sie die Opfer des Ruhmeswahns gewesen, nun werden sie die Opfer des Gleichheitswahns. III/277f

Besitz

Jede Wissenschaft gibt dem Geist desjenigen, der sich mit ihr beschäftigt, eine einseitige Richtung, die in der Politik gefährlich wird, wenn sie nicht durch etwas anderes korrigiert wird. Dieses andere aber kann allein der Besitz sein. Nur der Besitz knüpft unter den Menschen gleichartige Bande. Er warnt sie, das Glück und die Ruhe der anderen unüberlegt zu opfern. […] Man meine nicht, eine solche Vorsichtsmaßnahme sei nur nützlich für die Erhaltung der Ordnung; sie ist es nicht weniger für die der Freiheit. IV/94

Allein der Besitz befähigt daher die Menschen zur Ausübung der staatsbürgerlichen Rechte. IV/84

Der Grundbesitz beeinflußt Charakter und Schicksal des Menschen speziell durch die Sorgfalt, die er verlangt. Der Landmann übt gleichmäßig fortschreitende Tätigkeiten aus. In seiner Verhaltensweise stellt er sich daher auf Regelmäßigkeit ein. […] Seine Erfolge stellen sich langsam ein, er kann sie durch kühne und vom Glück begünstigte Aktionen weder beschleunigen noch steigern. Er ist abhängig von der Natur, unabhängig jedoch von den Menschen. […] Der gewerbliche Besitz beeinflußt den Menschen nur durch den positiven Gewinn, den er ihm verschafft oder in Aussicht stellt; er bringt in sein Dasein weniger Regelmäßigkeit; er ist künstlicher und nicht so solide fundiert wie der Grundbesitz. […] Er macht den Menschen nicht unabhängig von den anderen, sondern bringt ihn im Gegenteil in Abhängigkeit von ihnen. Die Eitelkeit, dieser so furchtbare Kern politischer Umtriebe, wird bei dem Besitzer mobilen Eigentums häufig verletzt, bei dem Grundbesitzer jedoch fast nie. IV/88f

Der Grundbesitz bindet den Menschen an den Boden, auf dem er wohnt, gestaltet Ortsveränderungen schwierig und weckt Patriotismus auf Grund der eigenen Interessen. IV/90

Steuern

Jede Steuer, welcher Art sie auch sei, hat immer eine mehr oder weniger unerfreuliche Wirkung; sie ist ein notwendiges Übel, aber wie alle notwendigen Übel muß man auch dieses so wenig wie nur irgend möglich groß werden lassen. Je mehr Mittel man dem Gewerbefleiß des einzelnen zur Verfügung beläßt, desto besser geht es dem Staat. Die Steuer ist schon allein dadurch schädlich, daß sie diesem Gewerbefleiß einen Teil seiner Mittel entzieht. IV/184

Ein Übermaß an Steuern führt zur Unterminierung der Gerechtigkeit, zur Verschlechterung der Moral und zur Zerstörung der persönlichen Freiheit. IV/185

Man würde sich täuschen, wenn man meinte, die Unzuträglichkeiten exzessiver Steuern beschränkten sich darauf, daß dadurch Elend und Entbehrung im Volk entsteht […] Das Übermaß an Wohlstand (des Staates) berauscht ebenso wie das Übermaß an Macht, weil auch großer Wohlstand eine Macht darstellt, sogar die realste von allen; daher die Pläne, die ehrgeizigen Bestrebungen und die Projekte, die einem Ministerium, dem nur das Nötigste zur Verfügung gestanden hätte, nie in den Sinn gekommen wären. So ist das Volk nicht nur elend dran, weil es über seine Möglichkeiten hinaus zahlen muß, sondern es ist auch elend dran durch den Gebrauch, den man von dem macht, was es zahlt. Seine Opfer wenden sich gegen es selbst. Es bezahlt nicht mehr Steuern, um einen durch ein gutes Verteidigungssystem gesicherten Frieden zu genießen. Es bezahlt sie, um dafür Krieg zu ernten, weil die Staatsmacht in dem stolzen Bewußtsein ihrer Mittel für diese Ruhm einhandeln will. Das Volk zahlt nicht, damit im Innern eine heilsame Ordnung aufrechterhalten bleibt, sondern damit im Gegenteil Günstlinge, die sich an dem bereichern, was ihm geraubt worden ist, die öffentliche Ordnung ungestraft stören können. IV/185f

Handel

Die Fortschritte der Zivilisation, die auf Handel gerichtete Tendenz der Epoche, die Verbindung der Völker untereinander haben die Möglichkeiten privaten Glücks bis ins unendliche vervielfältigt und verfeinert. Die Menschen brauchen zu ihrem Glück nichts anderes, als hinsichtlich alles dessen, was mit ihren Beschäftigungen, Unternehmungen, ihrer Betätigungssphäre und ihren Liebhabereien zu tun hat, völlig unabhängig zu sein. III/328[D]er Handel hat die Nationen einander näher gebracht und ihnen allen nahezu gleiche Sitten und Gewohnheiten gegeben […]. IV/391

Handel und Gewerbe lassen alle Länder in gewissem Maße gleich erscheinen, erleichtern Ortsveränderungen und trennen persönliches Interesse und Patriotismus. IV/90

Der Handel stützt sich auf das gute Einvernehmen der Nationen; er gedeiht nur durch Gerechtigkeit, er gründet sich auf gleiches Recht, er blüht nur in der Ruhe. III/264

Die Regierungsform beeinflußt den Handel allein durch die Freiheit, die sie ihm läßt. Sein Anwachsen beruht auf der privaten uneingeschränkten Betätigung des Gewerbefleißes. III/61

Der Handel erzeugt in den Menschen einen lebhaften Hang zu persönlicher Unabhängigkeit. Er kommt ihren Bedürfnissen entgegen, befriedigt ihre Wünsche, und das alles ohne Einwirken der Staatsmacht. Diese Einmischung bedeutet beinahe immer – und ich weiß nicht einmal, weshalb ich „beinahe“ sage – eine Störung, eine Behinderung. Sobald die kollektive Gewalt sich in private Planung einmischt, verärgert sie die Planenden. Jedes Mal, wenn die Regierung unsere Geschäfte für uns führen wollen, erledigen sie sie auf eine schlechtere und aufwendigere Weise, als wir selbst es tun. IV/374f

Es ist klar, daß, je mehr die Tendenz zum Handeln vorherrscht, desto mehr die Neigung zum Krieg erlahmen muß. III/244

Ungewißheit

Unsicherheit ist ein Element in allen menschlichen Dingen. Wollte der Mensch sich von aller Unsicherheit befreien, müßte er aufhören, ein moralisches Wesen zu sein. Vernunftmäßige Überlegung besteht nur aus einem Vergleich der Argumente, der Wahrscheinlichkeiten und der Aussichten, die man hat. Wer aber Vergleich sagt, der sagt auch: Möglichkeit eines Irrtums und damit Unsicherheit. IV/142

Natürliche Ungleichheit

Wenn die natürliche Ungleichheit etwas Gutes ist, sollte man sie in unseren Einrichtungen respektieren. Man wahre zwischen den Menschen den Abstand, der durch ihre Fähigkeiten, Talente, ihre Tüchtigkeit gegeben ist. Ein solcher Abstand erregt kein Ärgernis, da stets die Möglichkeit zu bestehen scheint, ihn zu überwinden. Ein tief im Innern verankertes Gefühl sagt dem Menschen, daß fester Wille, Mut und kluge Überlegung ihn zu jedem Rang empor zu tragen vermögen. III/100

Aufklärung und Fortschritt

Allem Denken, Meditieren und Forschen wohnt eine natürliche Tendenz zur Unabhängigkeit und zur Vernunft inne. III/151

Unbestreitbar verzeichnet die Mehrheit des Menschengeschlechts in einer gleichmäßigen, nie unterbrochenen Folge täglich einen Zuwachs an Glück und vor allem an Einsicht. IV/417

Der geringste Funke von Geist, der kleinste Keim eigenen Denkens, die winzigste Spur von verfeinertem Gefühl, die bescheidenste Form von Eleganz müssen sorgfältig behütet werden. Sie sind für das Glück der Gesellschaft unentbehrliche Elemente; man muß sie vor Stürmen bewahren. Man muß es sowohl im Interesse der Gerechtigkeit wie auch der Freiheit tun, denn alle diese Dinge führen auf mehr oder minder direkten Wegen zur Freiheit. III/342f

Die Aufklärung muß an Raum gewinnen, das Menschengeschlecht nach Gleichheit und Höherbildung streben, und jede der aufeinanderfolgenden Generationen, die der Tod verschlingt, wenigstens eine leuchtende Spur zurücklassen, die den Weg der Wahrheit bezeichnet. III/202

Man stellt sich die Mittelmäßigkeit immer als friedlich vor, sie ist jedoch nur friedlich, solange sie ohnmächtig ist. Wenn der Zufall viele mittelmäßige Menschen zusammenführt und sie mit einer gewissen Macht ausstattet, so erweist sich gerade ihre Mittelmäßigkeit als aufgeregter, mißgünstiger und krampfhafter in ihrem Vorgehen als die Begabung, selbst wenn diese durch Leidenschaften irregeleitet wird. Bildung beschwichtigt die Leidenschaften und dämmt den Egoismus ein, da sie der Eitelkeit durch größeres Selbstvertrauen Genüge tut. IV/74

Religion

Völlige, uneingeschränkte Freiheit aller Kulte ist ebenso förderlich für die Religion wie der Gerechtigkeit gemäß. IV/195

Solange die Staatsmacht die Religion vollkommen sich selbst überläßt, wird keiner ein Interesse daran haben, die Religion anzugreifen; niemand wird auch nur auf den Gedanken kommen; wenn jedoch die Staatsmacht sie zu verteidigen bestrebt ist, wenn sie vor allem aus ihr eine Verbündete machen will, wird alles, was geistig unabhängig ist, nicht zögern, sie anzugreifen. Auf welche Weise auch immer die Regierung sich in Dinge einmischt, die die Religion betreffen, sie richtet damit Unheil an. IV/202

Die große Zahl von Sekten, über die man sich so sehr entsetzt, stellt das Heilsamste dar, was es für die Religion geben kann […]. Die Vielfalt der Sekten bietet für die Moral einen großen Vorteil. Alle diese Sekten haben das Bestreben, sich durch eine noch gewissenhaftere Moral vorteilhaft abzuheben, und häufig will auch die Sekte, die in ihrem Schoß eine neue Spaltung erlebt, durch heilsamen Wettbewerb angeregt, auf diesem Gebiet den Neuerern gegenüber sich nichts vorzuwerfen haben. IV/209ff

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