Abhandlungen über Ethik besonders auf die Toleranz und das Verhältnis zwischen Staat und Religion ein. Seine Ideen beeinflussten einige Jahrzehnte später Adam Smith, den Begründer der klassischen Ökonomik. In seinem großen Werk „Theorie der ethischen Gefühle” befasste er sich mit der menschlichen Natur und ihrem Verhältnis zur Gesellschaft.
John Locke (geb. 1632 bei Bristol; gest. 1704 in Essex)
Ausgewählte Werke:
- Versuch über den menschlichen Verstand. In vier Büchern. Band 1, Berlin 1872. Erstdruck unter dem Titel »An essay concerning human understanding«, London 1690. Übersetzung durch Julius Heinrich von Kirchmann von 1872/73.
- Ein Brief über Toleranz. Übersetzt von Julius Ebbinghaus. Hamburg: Felix Meiner, 1957 [1689]
- Second Treatise of Government, 1690
Versuch über den menschlichen Verstand
2. Buch, XXI. Kapitel. § 8. (Was die Freiheit ist.) Da alle Thätigkeit, von der man eine Vorstellung hat, sich, wie gesagt, auf das Denken und Bewegen beschränkt, so ist ein Mensch insoweit frei, als er die Kraft hat, je nachdem seine Seele es vorzieht oder bestimmt, zu denken oder nicht zu denken, zu bewegen oder nicht zu bewegen. Wo dagegen eine Verrichtung oder Unterlassung nicht so in der Gewalt des Menschen ist; wo das Vollziehen oder Nicht-Vollziehen nicht so dem Entschlüsse und der Bestimmung seiner Seele folgt, da ist er nicht frei, wenn auch die Handlung vielleicht eine freiwillige ist. Daher ist die Vorstellung der Freiheit die der Kraft eines Wesens, eine einzelne Handlung dem Entschlüsse oder Denken der Seele gemäss zu thun oder zu unterlassen, wobei eines von beiden dem andern vorgezogen wird. Wo dagegen Beides nicht durch die Kraft dieses Wirksamen seinem Wollen gemäss hervorgebracht wird, da ist keine Freiheit, sondern da steht dieses Wirksame unter der Nothwendigkeit. Freiheit kann daher nur da sein, wo Denken, Wollen und Wille ist; allein alle diese können vorhanden sein und doch nicht die Freiheit. Die Betrachtung einiger hierher gehörender Fälle wird dies klarer machen.
§ 9. (Die Freiheit setzt den Verstand und Willen voraus.) Ein Federball wird von Niemand für ein freies Wesen gehalten, mag er durch den Schlag der Peitsche bewegt werden oder sich in Ruhe befinden. Der Grund liegt bei näherer Betrachtung darin, dass man dem Federball kein Denken und folglich auch kein Wollen und keine Wahl zwischen Ruhe und Bewegung zuschreibt; deshalb hat er keine Freiheit und gilt nicht als ein freies Wesen; seine Ruhe und Bewegung wird nur als nothwendig genommen und auch so benannt. Ebenso hat ein Mensch, der in das Wasser fällt (indem die Brücke unter ihm bricht), hierbei keine Freiheit und ist kein freies Wesen; denn wenn er auch einen Willen hat und das Nicht-Fallen dem Fallen vorzieht, so ist doch die Unterlassung dieser Bewegung nicht in seiner Macht, und das Anhalten oder Aufhören dieser Bewegung erfolgt nicht durch sein Wollen, und deshalb ist er hierbei nicht frei. Ebenso hält man einen Menschen nicht für frei, der durch eine krampfhafte Bewegung seines Armes, welche er durch Wollen und die Leitung seiner Seele nicht hemmen noch unterlassen kann, sich oder seinen Freund schlägt; vielmehr bedauert man ihn wegen dieser nothwendigen oder erzwungenen That.
§ 10. (Die Freiheit gehört dem Wollen nicht an.) Wird dagegen ein Mensch im Schlafe in ein Zimmer getragen, wo sich Jemand befindet, den er gern sehen und sprechen will, und wird er dort so eingeschlossen, dass er nicht herauskann, und erwacht er und freut er sich, einen so erwünschten Gesellschafter zu treffen, bei dem er gern bleibt, d.h. wo er das Bleibendem Fortgehen vorzieht, so frage ich, ob dieses Bleiben nicht freiwillig ist? Niemand wird dies bestreiten, Und dennoch kann er, da er fest eingeschlossen ist, nicht fortgehen und hat nicht die Freiheit, nicht zu bleiben. Die Freiheit ist deshalb eine Vorstellung, die nicht dem Wollen oder Vorziehen angehört, sondern dem Menschen, der nach seiner Wahl etwas thun oder nicht thun kann. Die Vorstellung der Freiheit reicht so weit als diese Macht und nicht weiter. Wenn irgendwie diese Macht erschüttert wird, oder wenn ein Zwang diese Unentschiedenheit in dem Vermögen, zu handeln oder nicht zu handeln, aufhebt, so hört die Freiheit und unser Begriff von derselben sofort auf.
§ 11. (Der Gegensatz von Freiwillig ist nicht das Nothwendige, sondern das Unfreiwillige.) Davon hat man Beispiele genug an seinem eigenen Körper. Das Herz schlägt und das Blut rollt, ohne dass man es durch ein Wollen oder Denken hemmen kann; deshalb ist man rücksichtlich dieser Bewegungen, wo die Ruhe nicht von der Wahl abhängt und dem Entschlüsse nicht nachfolgt, kein freies Wesen. Wenn Krämpfe die Beine zucken machen und man trotz allen Wollens diese Bewegung durch keine Kraft seiner Seele hemmen kann (wie bei der sonderbaren Krankheit des sogenannten St. Veitstanzes), sondern immer springen muss, so ist man hierbei nicht frei, sondern die Bewegung ist ebenso nothwendig, wie die des fallenden Steines oder des von der Pritsche geschlagenen Balls. Umgekehrt kann eine Lähmung oder ein Klotz es hindern, dass die Füsse der Bestimmung des Willens gehorchen, im Fall man wo anders hingehen wollte. In all diesen Fällen fehlt die Freiheit, wenn auch ein Gelähmter das Stillsitzen der Bewegung vorzieht und es deshalb wahrhaft freiwillig ist. Das Freiwillige ist deshalb nicht der Gegensatz von dem Nothwendigen, sondern von dem unfreiwilligen; ein Mensch kann das, was er vermag, dem, was er nicht vermag, und seinen gegenwärtigen Zustand jeder Veränderung vorziehen, wenn auch die Nothwendigkeit diesen Zustand unveränderlich gemacht hat.
§ 12. (Was ist die Freiheit?) So wie mit den Bewegungen des Körpers, verhält es sich auch mit den Gedanken der Seele; so weit man die Macht hat, einen Gedanken nach der Wahl der Seele aufzunehmen oder zu beseitigen, ist man frei. Wenn ein wachender Mensch immer gewisse Vorstellungen in seiner Seele haben muss, so hat er die Freiheit, zu denken oder nicht Zu denken, ebenso wenig, wie die, dass sein Körper keinen andern Körper berühren solle oder nicht; aber oft steht es in seiner Wahl, ob er von einem Gedanken zu dem andern übergehen will, und dann ist er in Bezug auf sein Denken so frei, als er es in Bezug auf Körper ist, auf denen er ruht und wo er beliebig sich von dem einen zu dem andern bewegen kann. Indess giebt es Vorstellungen der Seele wie Bewegungen des Körpers, die unter gewissen Umständen nicht vermieden werden können und deren Beseitigung selbst durch die äusserste Anstrengung nicht erreicht werden kann. Ein Mann auf der Folter ist nicht frei in Beseitigung der Vorstellung des Schmerzes und in Beschäftigung seiner mit andern Gedanken, und manchmal reisst eine aufbrausende Leidenschaft unsere Gedanken davon wie ein Sturmwind unsern Körper, und es bleibt uns nicht die Freiheit, an Anderes zu denken, was wir lieber thäten. Sobald indess die Seele die Macht wiedererlangt, diese Bewegungen des Körpers äusserlich und die der Gedanken innerlich, je nachdem sie es passend findet, zu hemmen oder fortzusetzen, zu beginnen oder zu unterlassen, so betrachtet man den Menschen wieder als ein freies Wesen.
Ein Brief über Toleranz
Wer sich um sein eignes Heil nicht kümmert, wird mich wahrhaftig schwerlich davon überzeugen, daß er um das meine äußerst besorgt ist. (Locke 1957, 5)
Das Gemeinwesen scheint mir eine Gesellschaft von Menschen zu sein, deren Verfassung lediglich die Befriedigung, Wahrung und Beförderung ihrer bürgerlichen Interessen bezweckt. Bürgerliche Interessen nenne ich Leben, Freiheit, Gesundheit, Schmerzlosigkeit des Körpers und den Besitz äußerer Dinge wie Geld, Ländereien, Häuser, Einrichtungsgegenstände und dergleichen. Es ist die Pflicht der staatlichen Obrigkeit, durch die unparteiische Ausführung von Gesetzen, die für alle gleich sind, allgemein dem ganzen Volke und jedem ihrer Untertanen im besonderen den gerechten Besitz dieser Dinge, die zu seinem Leben gehören, zu sichern. (Locke 1957, 11f)
Erstens, weil die Sorge für die Seelen um nichts mehr der staatlichen Obrigkeit als andern Menschen übertragen ist. Ich meine, sie ist ihr nicht übertragen von Gott, weil es nicht den Anschein hat, als hätte Gott jemals einem Menschen eine derartige Autorität über einen andern gegeben wie die, irgend jemanden zu seiner Religion zu zwingen. Auch kann eine solche Macht nicht auf die Obrigkeit durch Zustimmung des Volkes übertragen werden, weil kein Mensch die Sorge für sein eignes Heil so weit aufgeben kann, daß er es blindlings der Wahl eines anderen, sei es Fürst oder Untertan überließe, ihm vorzuschreiben, welchen Glauben oder Gottesdienst er annehmen solle. Denn niemand kann, selbst wenn er wollte, seinen Glauben dem Diktate anderer anpassen. Alles Leben und alle Macht wahrer Religion besteht in der inneren und vollkommenen Gewißheit des Urteils, und kein Glaube ist Glaube ohne Fürwahrhalten. (Locke 1957, 13f)
An zweiter Stelle kann die Sorge für die Seelen deswegen nicht der staatlichen Obrigkeit obliegen, weil deren Macht nur im äußeren Zwange liegt; aber die wahre und heilbringende Religion liegt in der inneren Gewißheit des Urteiles, ohne die nichts für Gott annehmbar sein kann. Und solcherart ist die Natur des Urteilsvermögens, daß es nicht zum Glauben von etwas mit Gewalt gezwungen werden kann. Konfiskation der Güter, Kerker, Tortur, nichts von der Art kann irgendeine Wirksamkeit für die Änderung des Urteils haben, das Menschen sich über die Dinge gebildet haben. (Locke 1957, 15)
An dritter Stelle könnte die Sorge für menschliches Seelenheil selbst dann nicht der Obrigkeit obliegen, wenn die Strenge der Gesetze und der Zwang von Strafen im Stande wären, zu überzeugen und die Ansichten der Menschen zu ändern. Denn das würde trotzdem ihrem Seelenheile ganz und gar nicht dienen. Da es nämlich nur eine Wahrheit, nur einen Weg zum Himmel gibt – welche Hoffnung besteht denn, daß mehr Menschen dahin geführt würden, wenn sie kein anderes Gesetz hätten als die Religion des Hofes, und in die Notwendigkeit versetzt würden, das Licht ihrer eignen Vernunft aufzugeben, den Vorschriften ihres eignen Gewissens zu widerstehen und sich blindlings zufrieden zu geben mit dem Willen ihrer Herrscher und der Religion, die Unwissenheit, Ehrsucht oder Aberglaube zufällig in den Ländern festgesetzt haben, wo sie geboren sind? Bei der Vielfalt und dem Widerspruch religiöser Meinungen, in denen die Fürsten der Welt ebenso gespalten sind wie in ihren weltlichen Interessen, würde der enge Weg noch sehr verengt werden. Ein Land allein würde im Rechte sein und die ganze übrige Welt unter der Verpflichtung stehen, ihren Fürsten auf den Wegen zu folgen, die zum Verderben führen. Und was die Absurdität noch steigert und dem Begriffe einer Gottheit sehr schlecht ansteht: Menschen würden ihre ewige Seligkeit oder Unseligkeit ihren Geburtsplätzen verdanken. (Locke 1957, 17f)
Daher steht die Sorge für eines jeden Seelenheil ihm selber zu und muß ihm selbst belassen werden. Aber wie, wenn er die Sorge für sein Seelenheil vernachlässigt? Ich antworte: Wie denn, wenn er die Sorge für seine Gesundheit oder sein Besitztum vernachlässigt – Dinge, die mit dem Regiment der Obrigkeit in näherer Beziehung stehen als das Vorige? Soll die Obrigkeit durch ein ausdrückliches Gesetz dafür vorsorgen, daß so ein Mensch nicht arm oder krank wird? Gesetze treffen soweit wie möglich Vorsorge dafür, daß die Güter und die Gesundheit der Untertanen nicht durch Betrug oder Gewalttat anderer verletzt werden; sie bewachen sie nicht gegen Nachlässigkeit oder Mißwirtschaft der Besitzer selber. Niemand kann gezwungen werden, reich oder gesund zu sein ohne Rücksicht darauf, ob er selbst es will oder nicht will. Ja, Gott selbst wird die Menschen nicht gegen ihren Willen selig machen. Nehmen wir einmal an, ein Fürst wäre voll Verlangen, seine Untertanen zu zwingen, Reichtümer anzuhäufen oder die Gesundheit und Kraft ihrer Körper zu erhalten. Soll denn nun durch Gesetz vorgesehen werden, daß sie nur römische Ärzte konsultieren dürfen, und daß jedermann gehalten sein soll, nach deren Vorschriften zu leben? Oder wie – soll keine Arznei, keine Kraftbrühe genommen werden, wenn sie nicht beispielsweise im Vatikan oder in Genf zubereitet ist? Oder sollen diese Untertanen, um reich zu werden, alle gesetzlich verpflichtet sein, Kaufleute oder Musiker zu werden? Oder soll jedermann Lebensmittelhändler oder Schmied werden, weil einige in diesen Berufen mit ihren Familien ein reichliches Auskommen haben und dabei noch reich werden? (Locke 1957, 43f)
Denn es steht der Obrigkeit nicht zu, von ihrem Schwerte zu Bestrafung von allem, was sie für eine Sünde gegen Gott hält, unterschiedslos Gebrauch zu machen. Habgier, Hartherzigkeit, Faulheit und mache anderen Dinge sind nach allgemeinem Urteil Sünden, und doch hat niemand je von ihnen gesagt, sie seinen von der Obrigkeit zu bestrafen. Der Grund ist, daß sie den Rechten der anderen nicht Abbruch tun, noch den öffentlichen Frieden der Gesellschaft brechen. (Locke 1957, 73)
Denn die Dinge, die für den bequemen Unterhalt unseres Lebens erforderlich sind, sind nicht Erzeugnisse der freien Natur, noch bieten sie sich unserem Gebrauch fix und fertig dar. Dieser Teil des Lebens zieht daher eine neue Sorge nach sich und gibt uns eine neue Beschäftigung. Aber die Verderbnis der Menschheit ist so groß, daß sie lieber die Früchte der Arbeit anderer zu ihrer Beute machen als sich anstrengen, für sich selbst vorzusorgen. Die Notwendigkeit, sich im Besitze des durch ehrliche Arbeit Erworbenen zu erhalten und auch ihre Freiheit und Stärke zu erhalten, durch die sie ihre zukünftigen Bedürfnisse befriedigen können, zwingt sie, miteinander in gesellschaftliche Verbindung zu treten, damit sie durch wechselseitige Hilfe und vereinte Kraft einander ihren Besitz an den Dingen sichern können, die zur Bequemlichkeit und zum Glücke dieses Lebens beitragen, während die Sorge für seine ewige Seligkeit einem jeden überlassen bleibt. Deren Erwerb kann weder durch die Arbeit anderer erleichtert werden, noch kann ihr Verlust einem anderen zum Schaden ausschlagen, noch auch ihm die Hoffnung auf sie durch irgendeine äußere Gewalt entrissen werden. Aber auch Menschen, die sich auf der Basis von gegenseitigen Beistandsverträgen zu solchen Gesellschaften zwecks Verteidigung ihrer zeitlichen Güter zusammentun, können dieser durch Raub und Betrug ihrer Mitbürger oder durch die feindliche Gewalt von Fremden beraubt werden. Gegen dies letztere Übel besteht das Heilmittel in Waffen, Reichtum und Größe der Volksmenge; gegen das erste in Gesetzen, und die Sorge für das eine und andere ist von der Gesellschaft der staatlichen Obrigkeit übertragen. Dies ist der Ursprung, dies der Nutzen und dies sind die Grenzen der gesetzgebenden (das ist der höchsten) Gewalt in jedem Gemeinwesen. Ich meine damit, daß sie Vorsorge zu treffen hat für den Frieden, Reichtum und die öffentliche Wohlfahrt des ganzen Volkes und, so viel wie möglich, für das Wachstum seiner inneren Stärke gegen fremde Einfälle. (Locke 1957, 85)
Nach dieser Erklärung ist es leicht zu verstehen, durch welche Zwecke die gesetzgebende Gewalt der Obrigkeit ihre Regel bekommt; und zwar ist es das zeitliche Gut und die äußere Blüte der Gesellschaft, die den einzigen Grund für die gesellschaftliche Vereinigung von Menschen bilden und das einzige, was sie in ihr suchen und bezwecken. Und es ist ebenso offenkundig, welche Freiheit den Menschen in Bezug auf ihr Seelenheil bleibt, nämlich, daß jeder das tun soll, wovon er in seinem Gewissen überzeugt ist, daß es annehmbar ist für den Allmächtigen, von dessen Wohlgefallen und Geneigtheit seine ewige Seligkeit abhängt. Denn Gehorsam wird an erster Stelle Gott geschuldet und danach den Gesetzen. (Locke 1957, 87f)
Second Treatise of Government
26. Gott, der die Welt den Menschen gemeinschaftlich gegeben hat, hat ihnen auch Vernunft verliehen, sie zum größten Vorteil und zur Annehmlichkeit des Lebens zu benutzen. Die Erde und alles was darinnen ist, ist den Menschen für den Unterhalt und Genuß ihres Daseins gegeben. Und obwohl alle Früchte, die sie von Natur hervorbringt, und die Tiere, die sie ernährt, der Menschheit gemeinschaftlich gehören, weil sie von der freiwilligen Hand der Natur erzeugt werden; und obwohl niemand von Anfang an ein privates Dominium mit Ausschluß der übrigen Menschheit weder über die einen noch über die anderen hat, weil sie sich so in ihrem natürlichen Zustand befinden, so muß, da sie den Menschen zu ihrem Gebrauch verliehen wurden, es doch notwendigerweise ein Mittel geben, sie sich auf die eine oder andere Weise anzueignen, bevor sie dem einzelnen Menschen zu irgend welchem Nutzen oder überhaupt zu einem Vorteil gereichen können. Die Frucht oder die Jagdbeute, die den wilden Indianer ernährt, der keine Einzäunung kennt und alles als Gemeingut besitzt, müssen die seinigen werden, (und zwar so sehr die seinigen, d. h. ein Teil von ihm, daß ein anderer nicht länger ein Recht darauf haben kann,) bevor sie ihm für den Unterhalt seines Lebens irgend welchen Nutzen zu bringen vermögen.
27. Obwohl die Erde und alle niedrigeren Geschöpfe den Menschen gemeinschaftlich gehören, so hat doch jeder Mensch ein Eigentum an seiner eigenen Person; auf diese hat niemand ein Recht als er selbst. Die Arbeit seines Körpers und das Werk seiner Hände, können wir sagen, sind im eigentlichen Sinn sein Eigentum. Alles also, was er dem Zustand, den die Natur vorgesehen, und in dem sie es gelassen hat, entrückt, hat er mit seiner Arbeit gemischt, ihm etwas zugesellt, was sein eigen ist, und macht es dadurch zu seinem Eigentum. Da es durch ihn dem gemeinsamen Zustand, in den die Natur es gestellt hatte, entzogen worden ist, hat es durch diese seine Arbeit etwas hinzugefügt erhalten, was das gemeinschaftliche Recht anderer Menschen ausschließt. Denn da diese Arbeit das unbestreitbare Eigentum des Arbeiters ist, kann niemand als er selbst ein Recht auf das haben, womit diese Arbeit einmal verbunden worden ist, wenigstens da, wo genug und ebenso gutes für den gemeinschaftlichen Besitz anderer vorhanden ist.
28. Derjenige, welcher sich von den Eicheln nährt, die er unter einer Eiche aufliest, oder von den Äpfeln, die er von den Bäumen des Waldes sammelt, hat sich diese offenbar angeeignet. Niemand kann in Abrede stellen, daß die Nahrung sein Eigentum ist. Ich frage nun, wann fing sie an, sein Eigentum zu sein? als er sie verdaute? oder als er sie aß? oder als er sie kochte? oder als er sie nach Hause brachte? oder als er sie aufsammelte? und es ist klar, daß, wenn nicht das erste Aufsammeln sie zu seinem Eigentum machte, nichts anderes dies bewirken konnte. Diese Arbeit setzte einen Unterschied zwischen diesen und den gemeinschaftlichen Besitz; sie fügte ihnen etwas bei, was mehr war, als die Natur, die gemeinsame Mutter von allem, getan hatte, und so wurden sie sein alleiniges, persönliches Recht. Und will jemand sagen, daß er auf jene Eicheln oder Äpfel, die er sich so angeeignet, kein Recht besaß, weil er nicht die Zustimmung der gesamten Menschheit hatte, sie zu den seinigen zu machen? War es ein Raub, für sich selbst zu nehmen, was allen gemeinschaftlich gehörte? Wenn eine Zustimmung wie diese notwendig gewesen wäre, würden die Menschen verhungert sein, trotz des Überflusses, den Gott ihnen gegeben. Wir sehen also, daß bei gemeinschaftlichem Besitz, der es durch Vertrag auch bleibt, die Herausnahme eines Teils von dem, was gemeinschaftlich ist, und seine Entfernung aus dem Zustand, in dem die Natur es gelassen, das ist, worin der Anfang des Eigentums liegt, und ohne das der gemeinschaftliche Besitz nutzlos ist. und diesen oder jenen Teil zu nehmen, hängt nicht von der ausdrücklichen Zustimmung aller Mitbesitzer ab. Das Gras, das mein Pferd gefressen, der Torf, den mein Knecht gestochen, und das Erz, das ich an irgend einer Stelle gegraben, wo ich ein Recht darauf in Gemeinschaft mit anderen habe, wird auf diese Weise mein Eigentum ohne die Anweisung oder Zustimmung irgend jemandes. Die Arbeit, die die meinige war, es aus dem gemeinschaftlichen Zustand, in dem es sich befand, zu versetzen, hat mein Eigentum daran festgestellt.
29. Wenn man die ausdrückliche Zustimmung jedes Mitbesitzenden notwendig machte, damit jemand sich einen Teil dessen, was in Gemeinschaft gegeben ist, aneignen könne, würden Kinder oder Knechte nicht das Fleisch schneiden dürfen, das ihr Vater oder Herr für sie alle gemeinsam verschafft hat, ohne einem jeden seinen besonderen Teil anzuweisen. Wenn auch das Wasser, das aus der Quelle fließt, Eigentum eines jeden ist, wer kann zweifeln, daß es dennoch im Krug nur demjenigen gehört, der es geschöpft hat? Seine Arbeit hat es aus den Händen der Natur genommen, wo es Gemeingut war und allen ihren Kindern gleichmäßig gehörte, und es dadurch ihm selbst zugeeignet.
30. So gibt dieses Vernunftgesetz das Wild demjenigen Indianer zum Eigentum, der es getötet hat; man erkennt an, daß es dessen Eigentum ist, der seine Arbeit darauf verwandt hat, wenn es auch vorher das gemeinsame Recht eines jeden gewesen war. Und unter denen, die zu dem zivilisierten Teil der Menschheit gerechnet werden, und die, um das Eigentum zu bestimmen, positive Gesetze in großer Zahl gegeben haben, behauptet dieses ursprüngliche Naturgesetz für den Anfang des Eigentums an dem, was vorher noch Gemeinbesitz war, noch heute seinen Platz. Und kraft dieses Gesetzes wird der Fisch, den jemand im Ozean, diesem großen und noch dauernden Gemeinbesitz der Menschheit, fängt, und der Bernstein, den hier jemand gräbt, durch die Arbeit, die ihn aus jenem Zustand des Gemeinguts, in dem die Natur ihn gelassen hat, herausnimmt, zum Eigentum dessen, der sich dieser Mühe unterzieht. Und selbst bei uns wird der Hase, den jemand jagt, für das Eigentum desjenigen gehalten, der ihn während der Jagd verfolgt; denn da er ein Tier ist, das noch als Gemeingut und als keines Menschen Privateigentum betrachtet wird, hat derjenige, welcher so viel Arbeit auf einen Hasen verwandt hat, ihn aufzuspüren und zu jagen, ihn dadurch aus dem Naturzustand, wo er noch Gemeingut war, entfernt und das Eigentum an ihm angetreten.
31. Vielleicht wird man hiergegen einwenden, daß, wenn das Sammeln der Eicheln oder anderer Früchte der Erde usw. ein Recht auf sie gibt, ein jeder soviel davon aufhäufen darf, wie er will. Darauf antworte ich: es ist nicht so. Dasselbe Naturrecht, das uns durch dieses Mittel Eigentum gibt, zieht dem Eigentum auch Grenzen. „Gott gibt uns dar reichlich allerlei zu genießen“, 1. Tim 6.17, ist die durch Inspiration bestätigte Stimme der Vernunft. Aber, wie weit hat er es gegeben? „Es zu genießen.“ Soviel jemand zum Nutzen seines Lebens gebrauchen kann, bevor es verdirbt, soviel darf er durch seine Arbeit sich zum Eigentum machen; alles, was darüber hinausgeht, ist mehr als sein Anteil und gehört anderen. Nichts ist von Gott geschaffen worden, damit Menschen es verderben lassen oder zerstören. und wenn man die Menge natürlicher Vorräte betrachtet, die es lange Zeit in der Welt gegeben hat, und die wenigen Verbraucher; und auf einen wie geringen Teil jener Vorräte sich die Betriebsamkeit eines einzelnen Menschen erstrecken und sie zum Schaden anderer aufhäufen konnte, namentlich wenn er sich innerhalb der von der Natur gezogenen Grenzen des eigenen Gebrauches hielt, so konnte es damals nur wenig Gelegenheit zu Zank und Streit über ein so hergestelltes Eigentum geben.
32. Aber da der wichtigste Gegenstand des Eigentums jetzt nicht die Früchte der Erde sind, oder die Tiere, die auf ihr leben, sondern die Erde selbst als das, was alles übrige enthält und mit sich führt, ist es, glaube ich, klar, daß auch daran das Eigentum erworben wird wie das vorige. Soviel Land ein Mensch beackert, bepflanzt, bebaut, kultiviert und die Erzeugnisse gebrauchen kann, soviel ist sein Eigentum. Durch seine Arbeit zäunt er es gleichsam vom Gemeingut ein. Sein Recht wird auch nicht entkräftet durch den Einwand, daß jeder andere einen gleichen Anspruch darauf habe, und er deshalb es sich nicht aneignen, es nicht einzäunen könne ohne die Zustimmung aller seiner Mitbesitzer, der ganzen Menschheit. Als Gott die Welt der gesamten Menschheit zum gemeinschaftlichen Besitz gab, befahl er dem Menschen, auch zu arbeiten, und die Hilflosigkeit seiner Lage verlangte es von ihm. Gott und die Vernunft geboten ihm, sich die Erde zu unterwerfen, d. h. sie zum Vorteil seines Lebens zu bebauen, und auf diese Weise etwas dafür aufzuwenden, was sein eigen war — seine Arbeit. Der, welcher diesem Gebot Gottes folgend, sich ein Stück der Erde unterwarf, es beackerte und besäte, fügte ihm dadurch etwas bei, was sein Eigentum war, worauf ein anderer keinen Anspruch hatte, und was ohne Unrecht ihm nicht genommen werden konnte.
33. Auch lag in dieser Aneignung eines Stückes Land vermittelst Bebauung keine Benachteiligung eines anderen, weil noch genug und von ebenso guter Beschaffenheit übrig war, und zwar mehr als die noch Unversorgten gebrauchen konnten, so daß in Wirklichkeit durch seine Einzäunung für den eigenen Gebrauch eine Verminderung für andere nie stattgefunden hatte; denn derjenige, welcher ebensoviel übrig läßt, als ein anderer gebrauchen kann, handelt ebenso, als ob er überhaupt nichts nimmt. Niemand kann sich durch das Trinken eines anderen, auch wenn er einen guten Schluck genommen, für geschädigt halten, wenn ihm ein ganzer Fluß desselben Wassers bleibt, seinen Durst zu löschen; und der Fall von Land und Wasser ist, wo es von beiden genug gibt, völlig gleich.
34. Gott gab die Welt den Menschen in Gemeinschaft; aber da er sie ihnen zu ihrem Nutzen gab und zu den größten Annehmlichkeiten des Lebens, die sie imstande wären, ihr abzugewinnen, kann man nicht annehmen, daß er wollte, sie solle immer Gemeingut und unkultiviert bleiben. Er gab sie für den Gebrauch des Fleißigen und Verständigen — und Arbeit sollte der Rechtstitel darauf sein — und nicht für die Launen oder die Begehrlichkeit des Zänkischen und Streitsüchtigen. Derjenige, dem ebensoviel zur Bebauung blieb, als bereits in Besitz genommen worden war, brauchte nicht zu klagen und hatte sich nicht um das zu kümmern, was bereits durch die Arbeit anderer bebaut war. Wenn er es tat, so ist es klar, daß er nach dem Nutzen der Arbeit eines anderen trachtete, auf den er kein Recht hatte, und nicht nach dem Boden, den Gott ihm in Gemeinschaft mit anderen zur Bearbeitung gegeben, und wovon noch soviel übrig gelassen war, als sich bereits im Besitz anderer befand, und mehr als er gebrauchen oder mit Aufwendung all seines Fleißes bebauen konnte. […]
36. Das Maß des Eigentums hat die Natur durch die Ausdehnung der menschlichen Arbeit und die Annehmlichkeiten des Lebens gegeben. Keines Menschen Arbeit konnte sich alles unterwerfen oder aneignen, noch konnte sein Genuß mehr verbrauchen als einen kleinen Teil, so daß es unmöglich war für einen Menschen, auf diesem Weg in die Rechte eines anderen einzugreifen, oder sich selbst ein Eigentum zu erwerben zum Schaden seines Nachbarn, der immer noch, (nachdem er den seinigen genommen), Gelegenheit gehabt haben würde, einen ebenso großen Besitz zu erwerben als vorher, d. h. ehe jener sich den seinigen angeeignet hatte. Dieses Maß beschränkte den Besitz jedes Menschen auf einen sehr bescheidenen Teil, wie er, ohne jemand zu schädigen, ihn sich aneignen konnte.
Adam Smith (geb. 1723 in Kirkcaldy; gest. 1790 in Edinburgh)
Ausgewählte Werke:
- Theorie der ethischen Gefühle. Nach der Auflage letzter Hand übersetzt und mit Einleitung, Anmerkung und Register herausgegeben von Walther Eckstein. Unveränderter Nachdruck. Hamburg: Meiner, 1985 [1759]
- Vorlesungen über Rechts- & Staatswissenschaften. Übersetzt, eingeleitet und kommentiert von Daniel Brühlmeier. St. Augustin: academia Richarz, 1996 [1896]
- Untersuchungen über Wesen & Ursachen des Reichtums der Völker. 2 Bände. Aus dem Englischen übersetzt von Monika Streissler. Herausgegeben und eingeleitet von Erich W. Streissler. Düsseldorf: Verlag Wirtschaft und Finanzen, 1999 [1776]
Theorie der ethischen Gefühle
Mag man den Menschen für noch so egoistisch halten, es liegen doch offenbar gewisse Prinzipien in seiner Natur, die ihn dazu bestimmen, an dem Schicksal anderer Anteil zu nehmen, und die ihm selbst die Glückseligkeit dieser anderen zum Bedürfnis machen, obgleich er keinen anderen Vorteil daraus zieht, als das Vergnügen, Zeuge davon zu sein. (Smith 1985, 1)
„Erbarmen“ und „Mitleid“ sind Wörter, die dazu bestimmt sind, unser Mitgefühl mit dem Kummer anderer zu bezeichnen. Das Wort „Sympathie“ kann dagegen, obgleich seine Bedeutung vielleicht ursprünglich die gleiche war, jetzt doch ohne Verstoß gegen den Sprachgebrauch dazu verwendet werden, um unser Mitgefühl mit jeder Art von Affekten zu bezeichnen. (Smith 1985, 4)
Was immer auch die Ursache der Sympathie sein und auf welche Weise sie auch erregt werden mag, sicher ist, daß nichts unser Wohlgefallen mehr erweckt, als einen Menschen zu sehen, der für alle Gemütsbewegungen unserer Brust Mitgefühl empfindet, und daß uns nichts so sehr verdrießt, als wenn wir an einem Menschen kalte Gefühllosigkeit beobachten. Diejenigen, die eine besondere Vorliebe dafür haben, alle unsere Empfindungen aus gewissen Verfeinerungen der Selbstliebe abzuleiten, sind keineswegs darum verlegen, einen ihren Prinzipien entsprechend Grund für dieses Wohlgefallen und diesen Ärger anzugeben. Sie sagen, der Mensch sei sich eben seiner eigenen Schwäche und seines Bedürfnisses nach fremder Hilfe bewußt und freue sich, wenn er bemerkt, daß andere Menschen seinen Gefühlen beipflichten, weil er dann eben dieses Beistandes versichert sei; und er sei bekümmert, wenn er das Gegenteil bemerkt, weil er dann ihren Widerstand gewärtigen müsse. Jedoch wird sowohl das Wohlgefallen als der Ärger stets so augenblicklich empfunden und oft auch bei solch geringfügigen Anlässen, daß offenbar keines dieser beiden Gefühle aus einer derartigen eigennützigen Betrachtung abgeleitet werden kann. Jemand, der sich bemüht hat, eine Gesellschaft zu unterhalten, wird sich ungemein kränken, wenn er nachher um sich blickt und sieht, daß niemand über seine Scherze lacht als er selbst. Umgekehrt wird ihn die Heiterkeit der Gesellschaft höchst angenehm berühren und er wird diese Übereinstimmung ihrer Empfindungen mit seinen eigenen als den größten Beifall betrachten. Es scheint mir jedoch das Vergnügen, das er darüber empfindet, nicht bloß daher zu kommen, daß seine Heiterkeit durch die Sympathie mit der Heiterkeit der anderen zu größerer Lebhaftigkeit gesteigert wird, noch scheint mir sein Ärger in dem anderen Falle ganz und gar von der Enttäuschung herzurühren, die er erleidet, wenn er dieses Vergnügen entbehren muß, obzwar dieser Umstand zweifellos einigermaßen dazu beiträgt. Wenn wir ein Buch oder ein Gedicht so oft gelesen haben, daß wir kein Vergnügen mehr daran finden, es allein zu lesen, so kann es uns doch noch Freude machen, es einem Gefährten vorzulesen. Für ihn hat es den ganzen Reiz der Neuheit und wir nehmen dann an der Überraschung und Bewunderung teil, die es naturgemäß in ihm erweckt, die es aber in uns nicht mehr hervorzurufen vermag; wir betrachten dann alle die Gedanken, die es zur Darstellung bringt, eher in dem Lichte, in welchem sie ihm erscheinen als in demjenigen, in welchem sie uns erscheinen würden; wir unterhalten uns nun wieder über das Buch, und zwar aus Sympathie mit der Unterhaltung, die es ihm bereitet, und die so unsere eigene von neuem belebt. Umgekehrt, würden wir uns ärgern, wenn ihm das Buch keine Unterhaltung zu gewähren schiene, und wir könnten dann kein Vergnügen mehr daran finden, es ihm vorzulesen. Ebenso verhält es sich nun in unserem Falle. Die Heiterkeit der Gesellschaft belebt zwar zweifellos unsere eigene Heiterkeit und ihr Schweigen muß uns zweifellos enttäuschen. Aber obwohl dies beitragen mag zu dem Vergnügen, das wir aus der ersteren und zu dem Mißvergnügen, das wir aus dem letzteren schöpfen, so ist dies doch keineswegs die einzige Ursache dieser Gefühle; und daß diese Übereinstimmung der Empfindungen anderer Menschen mit unseren eigenen uns Vergnügen und das Fehlen derselben uns Mißvergnügen bereitet, scheint auf diese Weise allein nicht erklärt werden zu können. Bei der Sympathie, welche meine Freunde gegenüber meiner Freude zum Ausdruck bringen, wäre es freilich möglich, daß diese Sympathie mir dadurch Vergnügen bereitete, daß sie diese meine Freude verstärkt; aber die Sympathie, die sie gegenüber meinem Kummer zum Ausdruck bringen, könnte mir doch nicht Freude bereiten, wenn sie bloß dahin wirken würde, diesen Kummer noch zu verstärken. Und doch verstärkt Sympathie die Freude und erleichtert den Kummer. Sie verstärkt die Freude, indem sie eine neue Quelle der Befriedigung darbietet, und sie erleichtert den Kummer, indem sie dem Herzen die einzige angenehme Empfindung einflößt, für die es in jenem Augenblick empfänglich ist. Man kann demgemäß auch beobachten, daß wir noch ängstlicher darauf bedacht sind, unseren Freunden von unseren unangenehmen Affekten Mitteilung zu machen als von unseren angenehmen, daß uns ihre Sympathie mit den ersteren viel mehr Genugtuung bereitet als die mit den letzteren, und daß wir über ihren Mangel an Sympathie gegenüber unseren schmerzlichen Affekten einen viel größeren Ärger empfinden. (Smith 1985, 9ff)
Mein Gefährte wird nicht schon von Natur aus das Unglück, das mich betroffen hat, oder daß Unrecht, das mir zugefügt worden ist, von dem gleichen Gesichtspunkt aus sehen, von dem aus ich es betrachte; beides wird mich viel näher berühren als ihn. […] Wenn dein Urteil in Fragen der Theorie, wenn deine Empfindungen in Fragen des Geschmackes den meinigen auch ganz entgegengesetzt sind, so kann ich über diesen Gegensatz doch leicht hinwegsehen, und wenn ich nur einige Gemütsruhe besitze, so kann ich immer noch eine gewisse Unterhaltung darin finden, mich mit dir sogar gerade über diese Gegenstände zu unterreden. Wenn du aber kein Mitgefühl für das Unglück hast, das mich betroffen hat, oder doch kein Mitgefühl, das in irgendeinem Verhältnis stünde zu dem Kummer, der mich quält; oder wenn du keinen Unwillen über die Beleidigungen empfindest, die ich erlitten habe, oder doch keinen Unwillen, der in irgendeinem Verhältnis stünde zu dem Vergeltungsgefühl, das mich mit seiner ganzen Heftigkeit ergriffen hat, so werden wir nicht mehr miteinander über diese Angelegenheiten sprechen können. Wir werden einander unerträglich werden. (Smith 1985, 22f)
Wir begreifen den Schmerz lebendiger und deutlicher, der aus einer äußeren Ursache hervorgeht, als jenen, der aus einer inneren Störung entsteht. Ich kann mir kaum eine Vorstellung von den Qualen meines Nächsten machen, wenn er von der Gicht oder vom Stein gemartert wird; aber ich habe den klarsten Begriff davon, was er infolge eines Schnittes, einer Wunde oder eines Knochenbruches leiden muß. Doch ist der Hauptgrund, warum der Anblick solcher Dinge einen so gewaltigen Eindruck auf uns hervorbringt, ihre Neuheit. Wer einmal Zeuge von einem Dutzend Leichenöffnungen und ebensovielen Amputationen war, wird von dieser Zeit an alle derartigen Operationen mit großer Gleichgültigkeit und oft mit völliger Gefühllosigkeit mit ansehen. (Smith 1985, 37)
Was kann der Glückseligkeit eines Menschen noch hinzugefügt werden, der sich im vollen Besitz seiner Gesundheit befindet, ohne Schulden ist und ein reines Gewissen hat. Für einen Menschen in dieser Lage kann man folglich jeden Zuwachs an Glück als überflüssig bezeichnen. (Smith 1985, 63)
Unsere Trauer bei einem Begräbnis kommt meistens auf nicht mehr als auf einen erkünstelten Ernst hinaus; aber unsere Fröhlichkeit bei einer Taufe oder einer Hochzeit ist immer von Herzen kommend und ohne jede Künstelei. (Smith 1985, 65)
Woher entsteht […] also jener Wetteifer, der sich durch alle die verschiedenen Stände der Menschen hindurchzieht, und welches sind die Vorteile, die wir bei jenen großen Endzielen menschlichen Lebens, das wir «Verbesserung unserer Verhältnisse» nennen, im Sinn haben? Dass man uns bemerkt, dass man auf uns achthat, dass man mit Sympathie, Wohlgefallen und Billigung von uns Kenntnis nimmt, das sind alle Vorteile, die wir daraus zu gewinnen hoffen dürfen. Es ist die Eitelkeit, nicht das Wohlbefinden oder das Vergnügen, was uns daran anzieht. Eitelkeit aber beruht immer auf der Überzeugung, dass wir der Gegenstand der Aufmerksamkeit und Billigung sind. (Smith 1985, 71)
Und so ist «Vorrang», jener große Zankapfel, der die Frauen der Ratsherren entzweit, der Endzweck der Hälfte aller Mühe und Arbeit des menschlichen Lebens und ist die Ursache all des Treibens und Lärmens, all der räuberischen Gewalttätigkeit und Ungerechtigkeit, welche die Habsucht und der Ehrgeiz in diese Welt gebracht haben. Freilich Leute von Verstand – sagt man – verschmähen den Vorrang; d.h., sie verschmähen es, an der Spitze der Tafel zu sitzen, und es ist ihnen gleichgültig, wer vor der Gesellschaft durch diese geringfügige Bevorzugung ausgezeichnet wird, die der kleinste Vorteil mehr als aufzuwiegen imstande ist. Aber Rang, Vorzug, hervorragende Lebensstellung verschmäht kein Mensch, es sei denn, dass er entweder sehr hoch über das gewöhnliche Maß der menschlichen Natur emporgestiegen, oder sehr tief unter dasselbe herabgesunken ist. (Smith 1985, 75)
Die vollkommenste Bescheidenheit und Schlichtheit, mit so viel Nachlässigkeit verbunden als mit jener Achtung verträglich ist, die er seiner Umgebung schuldet, sollten die Hauptkennzeichen des Benehmens eines Privatmanns sein. Wenn er jemals hoffen darf, sich auszuzeichnen, so muss dies durch bedeutsamere Tugenden geschehen, er muss Anhänger erwerben, um den Anhängern der Großen das Gegengewicht halten zu können, und er hat keinen anderen Fonds, aus dem er sie bezahlen könnte, als die Arbeit seines Körpers und die Regsamkeit seines Geistes. Er muss deshalb diese kultivieren: Er muss sich ein höheres Wissen in seinem Beruf aneignen und eine höhere Betriebsamkeit in dessen Ausübung. Er muss geduldig in der Arbeit, entschlossen in der Gefahr und standhaft in der Not sein. (Smith 1985, 79)
Hunger und Durst, die Leidenschaft, welche die beiden Geschlechter eint, die Liebe zur Lust und die Furcht vor Schmerz treiben uns an, jene Mittel um ihrer selbst willen zu gebrauchen, und ohne jede Überlegung der ihnen innewohnenden Tendenz, jene wohltätigen Zwecke zu verwirklichen, welche der große Lenker der Natur durch sie hervorbringen wollte. (Smith 1985, 113/114)
In dem Wettlauf nach Reichtum, Ehre und Avancements, da mag rennen, so schnell er kann und jeden Nerv und jeden Muskel anspannen, um all seine Mitbewerber zu überholen. Sollte er aber einen von ihnen niederrennen oder zu Boden werfen, dann wäre es mit der Nachsicht der Zuschauer ganz und gar zu Ende. Das wäre eine Verletzung der ehrlichen Spielregeln, die sie nicht zulassen könnten. Der andere ist für sie in jeder Hinsicht so gut wie dieser; sie stimmen jener Selbstliebe nicht zu, in der er sich selbst so hoch über den anderen stellt, und sie können die Motive nicht nachfühlen, die ihn bewogen, den anderen Schaden zu bringen. (Smith 1985, 124)
Die heiligsten Gesetze der Gerechtigkeit, diejenigen, deren Verletzung am lautesten nach Ahndung und Bestrafung zu rufen scheint, sind […] die Gesetze, welche das Leben und die Person unseres Nächsten schützen; die nächstwichtigen sind diejenigen, die sein Eigentum und seine Besitzungen schützen; und als letzte von allen kommen jene, die seine sogenannten persönlichen Rechte oder die Ansprüche, die ihm aus den Versprechungen anderer zustehen, in ihren Schutz nehmen. (Smith 1985, 125)
Wenn es eine Gesellschaft zwischen Räubern und Mördern gibt, dann müssen sie, einem ganz alltäglichen Gemeinplatz zufolge, sich wenigstens des Raubens und Mordens untereinander enthalten. Wohlwollen und Wohltätigkeit ist darum für das Bestehen der Gesellschaft weniger wesentlich als Gerechtigkeit. Eine Gesellschaft kann ohne Wohltätigkeit weiterbestehen, wenn auch freilich nicht in einem besonders guten und erfreulichen Zustande, das Überhandnehmen der Ungerechtigkeit dagegen müsste sie ganz und gar zerstören. (Smith 1985, 128)
Als die Natur den Menschen für die Gesellschaft bildete, da gab sie ihm zur Aussteuer ein ursprüngliches Verlangen mit, seinen Brüdern zu gefallen und eine ebenso ursprüngliche Abneigung, ihnen weh zu tun. Sie lehrte ihn Freude über deren freundliche Gesinnung und Schmerz über ihre unfreundliche Gesinnung zu empfinden. Sie bewirkte es, dass ihm deren Billigung um ihrer selbst willen äußerst schmeichelhaft und angenehm, und deren Missbilligung überaus kränkend und beleidigend erscheint. (Smith 1985, 176)
Das Bewusstsein, dass er morgen seinen kleinen Finger verlieren müsste, würde ihn schon heute nachts nicht schlafen lassen. Dagegen wird er bei dem Untergang von hundert Millionen seiner Brüder mit der tiefsten Seelenruhe schnarchen – vorausgesetzt, dass er diese niemals gesehen hätte – und die Vernichtung jener ungeheuren Menschenmenge scheint offenbar eine Sache zu sein, die ihn weit weniger berührt als dieses erbärmliche Missgeschick, das ihn selber angeht. (Smith 1985, 202)
Die Natur hat in der weisesten Absicht bei den meisten, vielleicht bei allen Menschen, die elterliche Zärtlichkeit zu einem weit stärkeren Gefühl gemacht als die kindliche Liebe. Die Erhaltung und Fortpflanzung der Art hängt ganz und gar von der ersteren ab und nicht von der letzteren. In der Mehrzahl der Fälle hängt die Existenz und Erhaltung des Kindes durchaus von der Fürsorge der Eltern ab. Selten aber hängt die Existenz und Erhaltung der Eltern von jener des Kindes ab. […] In den zehn Geboten wird uns befohlen, Vater und Mutter zu ehren. Aber der Liebe zu unseren Kindern wird keine Erwähnung getan. Die Natur selbst hat uns zur Erfüllung dieser letzteren Pflicht in ausreichender Weise angeleitet. (Smith 1985, 209)
Die stoische Apathie scheint uns in solchen Fällen niemals angemessen, und all die metaphysischen Sophismen, durch die man sie zu stützen pflegt, können selten zu etwas anderem führen als dazu, die harte Gefühllosigkeit eines Narren zur zehnfachen Stärke ihrer ursprünglichen Taktlosigkeit aufzublasen. Die Dichter und Romanschriftsteller, die am besten die feinen und zarten Empfindungen der Liebe und Freundschaft und all die anderen Gefühle persönlicher eher und verwandtschaftlicher Zuneigung zu schildern verstehen […] sind in solchen Fällen weit bessere Lehrer als Zeno, Chrysipp oder Epiktet. (Smith 1985, 211)
Zweierlei Gruppen von Philosophen haben es versucht, uns diese schwierigste von allen Lektionen der Moral beizubringen. Die eine Gruppe hat sich bemüht, unser Gefühl für die Interessen anderer zu steigern. Die andere hat es versucht, die Empfindlichkeit für unsere eigenen Interessen herabzusetzen. […] Beide Gruppen sind wohl in ihren Lehren allzu weit gegangen und haben dabei jenes rechte Maß beträchtlich überschritten, welches Natur und Sittlichkeit vorschreiben. Die Philosophen der ersten Art sind jene weinerlichen und trübsinnigen Moralisten, die uns beständig vorwerfen, dass wir uns glücklich fühlen, während so viele unserer Brüder sich im Elend befinden, jene Moralisten, welche die natürliche Freude am eigenen Wohlergehen als sündig betrachten, weil diese nicht an die vielen Unglücklichen denke, welche in jedem Augenblick unter den mannigfachsten Bedrängnissen leiden. […] Man muss aber vor allem sagen, dass diese übertriebene Sympathie mit einem Unglück, von dem wir nichts wissen, ganz und gar sinnlos und unvernünftig scheint. Wenn ihr die ganze Erde in Betracht ziehet, so werdet ihr finden, dass durchschnittlich auf einen Menschen, welcher Schmerzen oder Elend erduldet, zwanzig andere kommen, die sich in Wohlstand und Freuden oder doch wenigstens in erträglichen Umständen befinden. Es kann sicherlich kein Grund angegeben werden, warum wir eher mit dem einen weinen als mit den zwanzig anderen uns freuen sollten. […] Darum scheint es weise von der Natur eingerichtet, dass wir nur wenig an dem Schicksal derjenigen Menschen Anteil nehmen, denen wir weder Dienste erweisen noch Schaden zufügen können, und die in jeder Beziehung so überaus weit von uns entfernt sind; und wenn es möglich wäre, die ursprüngliche Beschaffenheit unseres Gemüts in dieser Hinsicht zu lindern, so könnten wir durch diese Änderung doch nichts gewinnen. (Smith 1985, 205ff)
Die Hauptquelle des Elends und der Zerrüttungen des menschlichen Lebens scheint aus einer Überschätzung des Unterschiedes zwischen einer dauernden Lebenslage und einer anderen zu entspringen. Habgier überschätzt den Unterschied zwischen Armut und Reichtum; Ehrgeiz den Unterschied zwischen Privatleben und öffentlicher Stellung. Ruhm sucht den Unterschied zwischen Unbekanntheit und ausgebreitetem Ansehen. (Smith 1985, 222)
Demjenigen erkennen wir die vollendetste Tugend zu, denjenigen lieben und verehren wir natürlicherweise am höchsten, der mit der vollkommensten Herrschaft über seine ursprünglichen egoistischen Gefühle die außergewöhnlichste Empfindsamkeit sowohl für die ursprünglichen als für die sympathetischen Gefühle anderer verbindet. Derjenige, der mit all den sanften, zarten und liebenswerten Tugenden, auch all die großen, erhabenen und ehrfurchtgebietenden verbindet, der muss sicherlich auch mit Recht unsere höchste Liebe und Bewunderung auf sich ziehen. (Smith 1985, 227)
Seid ihr im Unglück? Dann trauert nicht in der Finsternis der Einsamkeit, richtet euch in eurem Gram nicht nach der nachsichtigen Sympathie eurer vertrautesten Freunde! Kehret sobald als möglich in das helle Tageslicht der Welt und der Gesellschaft zurück. Suchet den Umgang mit Fremden, mit solchen, die von eurem Unglück nichts wissen oder sich nicht darum bekümmern! Ja, meidet nicht einmal die Gesellschaft eurer Feinde, sondern machet euch vielmehr das Vergnügen, ihre Schadenfreude dadurch zu ärgern, dass ihr sie fühlen lasset, wie wenig euch euer Elend berührt und wie hoch ihr über demselben steht! Seid ihr im Glück? Dann beschränkt den Genuss eures Glück nicht auf euer Haus und auf die Gesellschaft eurer Freunde. […] Verkehret mit denen, die von euch unabhängig sind, die imstande sind, euch bloß nach eurem Charakter und nach eurem Verhalten und nicht nach eurem Glück und Vermögen zu werten. (Smith 1985, 230)
Wenn einem Menschen diese heilige Achtung vor allgemeinen Regeln fehlt, dann kann man sich niemals auf sein Verhalten sehr verlassen. Sie ist es, die den wesentlichsten Unterschied zwischen einem Mann von Ehre und Grundsätzen und einem nichtswürdigen Gesellen bildet. Der eine bleibt bei allen Gelegenheiten standhaft und entschlossen seinen Grundsätzen treu und bewahrt sein ganzes Leben hindurch eine gewisse Gleichmäßigkeit in seinem Verhalten. Der andere handelt ganz ungleichmäßig und von ungefähr, je nachdem, wie gerade Laune, Neigung oder Interesse zufällig die Oberhand haben. (Smith 1985, 245)
Wenn einer aus Mangel an Achtung vor diesen allgemeinen Regeln sogar die Pflichten der Höflichkeit, die doch so leicht zu befolgen sind und zu deren Verletzung man kaum irgendeinen ernstlichen Beweggrund haben kann, dennoch so häufig übertreten würde, was würde erst aus den Pflichten der Gerechtigkeit, der Wahrhaftigkeit, der Keuschheit, der Treue werden, die oft so schwer zu befolgen sind und zu deren Verletzung so viele starke Beweggründe antreiben mögen? Und doch hängt von einer wenigstens leidlichen Befolgung dieser Pflichten geradezu das Bestehen der menschlichen Gesellschaft ab, die in nichts zerfallen würde, wenn den Menschen nicht im allgemeinen die Achtung vor jenen wichtigen Gesetzen des Verhaltens im Innersten eingeprägt wäre. (Smith 1985, 246)
Dass die Schrecken der Religion das natürliche Pflichtgefühl verstärken sollten, das war für die Glückseligkeit der Menschen von viel zu großer Wichtigkeit, als dass die Natur dies hätte von der Langsamkeit und Ungewissheit philosophischer Untersuchungen sollen abhängen lassen. (Smith 1985, 248)
Darin besteht der Unterschied zwischen dem Wesen eines Geizhalses und dem eines Menschen, der strenge Wirtschaftlichkeit und Geschäftsbeflissenheit sich zum Grundsatz gemacht hat. Der eine ist um geringe Dinge um ihrer selbst willen ängstlich besorgt, der andere schenkt ihnen seine Aufmerksamkeit bloß infolge des Lebensplanes, den er sich selbst festgesetzt hat. (Smith 1985, 263)
Diese Rührigkeit, dieser Eifer bildet den Unterschied zwischen einem Menschen, der Unternehmungsgeist besitzt und einem Manne von geistloser Mittelmäßigkeit. Jene großen Ziele der eigennützigen Neigungen, jene Güter, deren Verlust oder Erwerb die ganze Stellung des Menschen verändern kann, bilden die Ziele derjenigen Leidenschaft, die man im eigentlichen Sinn als Ehrgeiz bezeichnet; einer Leidenschaft, die, sofern sie sich innerhalb der Grenzen der Klugheit und Gerechtigkeit hält, immer und überall in der Welt bewundert wird, und diese sogar dann mitunter eine gewisse, jeder Regel spottende Größe an sich trägt, welche unsere Einbildungskraft blendet, wenn sie die Schranken dieser beiden Tugenden überschreitet und nicht nur ungerecht, sondern auch unsinnig und übertrieben ist. Daher stammt die allgemeine Bewunderung für Helden und Eroberer und sogar für Staatsmänner, deren Pläne sehr kühn und umfassend, oft zwar ganz und gar jeder Rechtlichkeit bar waren, wie etwa diejenigen der Kardinäle von Richelieu und von Retz. Die Ziele der Habsucht und des Ehrgeizes unterscheiden sich voneinander nur durch ihre Größe. Ein Geizhals ist ebenso versessen auf einen halben Penny, wie ein Mann, der von Ehrgeiz erfüllt ist, auf die Eroberung eines Königreiches. (Smith 1985, 264)
Die Regeln der Gerechtigkeit können mit den Regeln der Grammatik verglichen werden. Die Regeln der anderen Tugenden dagegen mit jenen Regeln, wie sie die Ästhetiker für die Erlangung des Erhabenen und des Eleganten in Stil und Darstellung aufstellen. Die einen sind fest bestimmt, genau und unnachlässig, die anderen sind lax, vage und unbestimmt, und sie bieten uns eher eine allgemeine Vorstellung jener Vollkommenheit dar, der wir nachstreben sollen, als dass sie uns eine sichere und untrügliche Anleitung geben würden, um sie zu erwerben. (Smith 1985, 268)
Die Freuden, welche Wohlstand und hoher Rang bieten, drängen sich […] der Einbildungskraft als etwas Großes und Schönes und Edles auf, dessen Erlangung wohl alle die Mühen und Ängste wert ist, die wir so gerne auf sie zu verwenden pflegen. Und es ist gut, dass die Natur uns in dieser Weise betrügt. Denn diese Täuschung ist es, was den Fleiß der Menschen erweckt und in ständiger Bewegung erhält. Sie ist es, was sie zuerst antreibt, den Boden zu bearbeiten, Häuser zu bauen, Städte und staatliche Gemeinwesen zu gründen, alle die Wissenschaften und Künste zu erfinden und auszubilden, die das menschliche Leben veredeln und verschönern, die das Antlitz des Erdballs durchaus verändert haben, die die rauhen Urwälder in angenehme und fruchtbare Ebenen verwandelt und das farblose, öde Weltmeer zu einer neuen Quelle von Einkommen und zu der großen Heerstraße des Verkehrs gemacht haben, welche die verschiedenen Nationen der Erde untereinander verbindet Durch diese Mühen und Arbeiten der Menschen ist die gezwungen worden, ihre natürliche Fruchtbarkeit zu verdoppeln und eine größere Menge von Einwohnern zu erhalten. (Smith 1985, 315)
Trotz ihrer (der Reichen) natürlichen Selbstsucht und Raubgier und obwohl sie nur ihre eigene Bequemlichkeit im Auge haben, obwohl der einzige Zweck, welchen sie durch die Arbeit all der Tausenden, die sie beschäftigen, erreichen wollen, die Befriedigung Ihrer eigenen eitlen und unersättlichen Begierden ist, trotzdem teilen sie doch mit den Armen den Ertrag aller Verbesserungen, die sie in ihrer Landwirtschaft einführen. Von einer unsichtbaren Hand werden sie dahin geführt, beinahe die gleiche Verteilung der zum Leben notwendigen Güter zu verwirklichen, die zustande gekommen wäre, wenn die Erde zu gleichen Teilen unter all ihre Bewohner verteilt worden wäre; und so fördern sie, ohne es zu beabsichtigen, ja ohne es zu wissen, das Interesse der Gesellschaft und gewähren die Mittel zur Vermehrung der Gattung. (Smith 1985, 316)
Wir leiden […] mehr, wenn wir aus einer besseren in eine schlechtere Lebenslage herabsinken, als wir uns jemals freuen würden, wenn wir aus einer schlechteren in eine bessere aufsteigen. Darum ist Sicherheit das erste und hauptsächliche Ziel der Klugheit. Sie ist immer dagegen, dass wir unsere Gesundheit, unser Vermögen, unseren Rang oder unser Ansehen irgendeiner Art von Zufall oder Gefahr aussetzen. Sie ist eher behutsam als unternehmenslustig. Sie ist eifrig darauf bedacht, uns die Vorteile zu erhalten, die wir bereit besitzen, als uns zum Erwerb neuer, noch größerer Vorteile anzuspornen. Die Wege, die sie uns in erster Linie empfiehlt, um unsere Lage zu verbessern, sind solche, die uns keinem Verlust oder Zufall aussetzen: wirkliches Wissen und Geschicklichkeit in unserem Gewerbe oder Beruf, Emsigkeit und Fleiß in dessen Ausübung, Sparsamkeit oder selbst eine gewisse Kargheit in allen unseren Ausgaben. (Smith 1985, 362)
Der Kluge wird nicht leicht dazu bereit sein, eine Verantwortung auf sich zu nehmen, die ihm nicht schon seine Pflicht auferlegt. Er ist kein Wichtigtuer in Bezug auf Geschäfte, die ihn nichts angehen, er ist nicht derjenige, der sich in anderer Leute Angelegenheiten einmischt, er ist nicht der erklärte Ratgeber aller Leute, der seinen Rat aufdrängt, wo kein Mensch nach ihm verlangt hat. Er beschränkt sich, soweit es seine Pflicht erlaubt, auf seine eigenen Angelegenheiten und findet keinen Geschmack an jenem törichten Vorgehen vieler Leute, die sich dadurch eine gewisse Wichtigkeit beizulegen suchen, dass sie den Anschein erwecken, als hätten sie irgendwelchen Einfluss auf die Führung von anderer Leute Angelegenheiten. (Smith 1985, 366)
Die Gewalttätigkeit und Ungerechtigkeit großer Eroberer wird oft mit törichter Bewunderung betrachtet; diejenigen von kleinen Dieben, Räubern und Mördern wird in allen Fällen mit Verachtung, mit Hass und sogar mit Abscheu angesehen. Die Verbrechen der ersteren sind zwar hundertmal mehr unheilbringend und verderblich, aber wenn sie nur von Erfolg begleitet sind, werden sie dennoch oft als Taten höchst heldenmütiger Seelengröße angesehen. (Smith 1985, 369)
Sicherlich können alle Erkenntnisse, die möglicherweise aus der sogenannten öffentlichen Erziehung gewonnen werden können, keinerlei Ersatz für dasjenige bieten, was beinahe sicher und notwendig durch sie verloren wird. Häusliche Erziehung ist die Einrichtung der Natur; öffentliche Erziehung die Erfindung von Menschen. Es ist sicher nicht notwendig, erst zu sagen, welche von beiden Erziehungsarten wohl die weisere sein wird. (Smith 1985, 377)
Der Krieg ist die große Schule, um diese Art von Seelenstärke zu erwerben und zu üben. Der Tod ist, wie wir sagen, der König der Schrecken, und der Mann, der einmal die Furcht vor dem Tode besiegt hat, würde wohl nicht leicht angesichts des Herannahens irgendeines anderen natürlichen Übels die Geistesgegenwart verlieren. Im Krieg werden die Menschen mit dem Tod vertraut und werden dadurch von jenem abergläubischen Grauen geheilt, mit dem er von Schwächlichen und Unerfahrenen angesehen wird. […] Diese zur Gewohnheit gewordene Verachtung von Gefahr und Tod ist es, was den Beruf des Soldaten adelt, und was ihm in der gewöhnlichen Auffassung der Menschen einen Rang und eine Würde verleiht, die denjenigen aller anderen Berufe überlegen sind. (Smith 1985, 404f)
Eine gewisse Unerschrockenheit, starke Nerven und ein abgehärteter Körper, mögen sie dem Menschen von Natur zu eigen oder erst von ihm erworben sein, sind zweifellos die besten Vorbereitungsmittel für alle großen Leistungen der Selbstbeherrschung. (Smith 1985, 415)
Das große Geheimnis der Erziehung ist es, die Eitelkeit auf die richtigen Ziele zu lenken. Gestattet (eurem Sohn) nie, dass er sich wegen unbedeutender Fertigkeiten hochschätze. Aber entmutiget nicht immer die anmaßenden Ansprüche, die er auf den Besitz solcher Fertigkeiten erhebt, die wirklich von Wichtigkeit sind. Er würde sich ihren Besitz nicht anmaßen, wenn er nicht ernstlich wünschte, sie zu besitzen. Ermutiget diesen Wunsch; verschafft ihm alle Mittel, die es ihm leichter machen, diese Fertigkeiten zu erwerben und nehmt nicht allzu sehr Anstoß daran, wenn er sich auch einmal etwas früher das Ansehen geben sollte, sie bereits erlangt zu haben, als dies wirklich schon der Fall ist. (Smith 1985, 437)
Es ist der große Trugschluss von Dr. Mandevilles Buch, dass es jeden Affekt als durchaus lasterhaft hinstellt, der, wenn er in einem gewissen Grade und in einer gewissen Richtung auftritt, allerdings lasterhaft ist. […] Wenn Prachtliebe, wenn Geschmack an den Künsten der Eleganz und der verfeinerten Kultur des menschlichen Lebens, an allem was angenehm und bequem ist von Kleidung, Hausgerät oder Einrichtung, wenn Geschmack an der Baukunst, an Bildhauerei, Malerei und Musik als Schwelgerei, Sinnlichkeit und Prahlerei angesehen werden müssten, und zwar auch bei solchen Menschen, deren Situation es ihnen erlaubt, diesen Neigungen ohne irgendwelche ungünstigen Folgen nachzugeben, dann ist es sicher, dass Schwelgerei, Sinnlichkeit und Prahlerei Wohltaten für die Allgemeinheit sind; da ja ohne diese Eigenschaften – denen er solche schimpflichen Namen beizulegen für richtig findet – die höheren Künste niemals eine Ermunterung finden könnten und aus Mangel an Beschäftigung dahinschwinden müssten. (Smith 1985, 521)
Vorlesungen über Rechts- & Staatswissenschaften
Höheres Alter, überragende Fähigkeiten des Körpers oder des Geistes, Ehrwürdigkeit der Familie und größerer Reichtum scheinen mir die vier Dinge zu sein, die einem Menschen Autorität über anderen geben. Den zweiten Grundsatz, der jemanden zum Gehorsam gegenüber einem Magistraten veranlasst, ist der Nutzen. Jedermann anerkennt die Notwendigkeit dieses Grundsatzes zur Erhaltung von Gerechtigkeit und Frieden in der Gesellschaft. […] Wenn eine Regierung seit langem in einem Lande besteht, von eigenen Einkünften lebt, und zudem noch von einem Manne mit großen Fähigkeiten geführt wird, dann ist das die Autorität in Vollendung. (Smith 1996, 42f)
Frage einen gemeinen Träger oder Taglöhner, warum er dem Herrscher Gehorsam leiste, so wird er sagen, dass es so recht sei, dass er andere sehe, die dies tun, dass er bestraft würde, wenn er es nicht täte, oder vielleicht, dass es eine Sünde gegen Gott wäre, dies nicht zu tun. Aber nie wird er einen Vertrag als Grund für seinen Gehorsam erwähnen. […] Der Vertrag ist demnach nicht die Grundlage des Gehorsams gegenüber dem Staate, sondern die früher erläuterten Grundsätze von Autorität und Nutzen. (Smith 1996, 44f)
Nehmen wir an, dass der Staat auf einen Vertrag gegründet sei und dass die Gewalten Personen anvertraut werden, die sie nun gröblich missbrauchen, dann ist selbstverständlich Widerstand rechtmäßig, weil der ursprüngliche Vertrag gebrochen worden ist […] Was auch immer der Grundsatz der Untertanentreue sein mag, ein Recht auf Widerstand muss zweifelsohne rechtmäßig sein, weil keine Herrschaftsgewalt völlig unbegrenzt sein kann. Sinnloses Verhalten kann einer Körperschaft ebenso wie einer privaten Person den Einfluss rauben. Unkluges Vorgehen vernichtet jeglichen Sinn für Autorität. Der Wahnsinn und die Grausamkeit der römischen Kaiser lässt den unparteiischen Leser mit den Verschwörungen sympathisieren, die gegen sie geschmiedet wurden. […] Ohne Zweifel rechtfertigen übermäßige Steuern Widerstand, denn kein Volk wird zulassen, dass ihm die Hälfte seines Eigentums weggenommen wird. (Smith 1996, 93)
Aber es ist immer besser, wenn das Band der Ehe zu eng als zu lose ist. Die unbegrenzte Befugnis zur Scheidung in der Spätzeit der (Römischen) Republik war die Quelle von höchst zersetzenden Konsequenzen. Um solche zu verhindern, muss man die (aus der Härte entstehende) Mühsal in Kauf nehmen. Wenn beide Parteien die Kompetenz zur Scheidung haben, können sie weder gegenseitiges Vertrauen noch beiderseitige Abhängigkeit haben, sondern ihre Interessen sind ziemlich verschieden. (Smith 1996, 107)
Es ist fast müßig, zu beweisen, dass die Sklaverei sogar für die Freien etwas Schlechtes darstellt. Ein Freier arbeitet im Tagelohn weit mehr als ein Sklave, wenn man die Auslagen vergleicht, die für den Unterhalt und die Ausbildung eines Sklaven nötig sind. (Smith 1996, 119)
Eigentum ist als ausschließliches Recht zu betrachten, durch welches wir jede andere Person an jeglicher Form der Benützung dessen hindern können, was wir unter diesem Titel besitzen. Eigentum kann auf fünf Arten erworben: erstens durch Alleignung (occupation), d.h., wenn etwas in Besitz genommen wurde, was bisher niemand gehörte; zweitens durch Verbindung, Vermischung oder Verarbeitung (accession), d.h. ein Recht auf etwas als Folge einer anderen Sache, z.B. auf ein Huf durch Erwerb des Pferdes; drittens durch Ersitzung (prescription), das ist ein Recht auf etwas, das zwar einem anderen gehört, aber lange und ununterbrochen in meinem Besitz ist; viertens durch Erbschaft von einem Vorfahren oder einer anderen Person, sei es durch Testament oder ohne (succession); fünftens durch freiwillige Übertragung (volontary transference), wenn jemand ein Recht auf eine Sache einem anderen übergibt. (Smith 1996, 126f)
Nichts korrumpiert den Menschen so sehr wie Abhängigkeit, während Unabhängigkeit die Ehrlichkeit der Leute noch steigert. Die Einrichtung des Handels und der Manufaktur, die diese Unabhängigkeit mit sich bringt, ist das beste Mittel zur Verbrechensverhütung. So hat das gemeine Volk mehr Lohn, und als Folge davon verbreitet sich im ganzen Land allgemein eine Aufrichtigkeit der Sitten. Niemand wird so verrückt sein, sich auf der Straße eine Blöße zu geben, wenn er sein Brot auf ehrliche und fleißige Arbeit besser verdienen kann. (Smith 1996, 174)
Der Mensch hat von der Natur Vernunft und Geschicklichkeit, Kunstfertigkeit, Erfindungsgeist und Verbesserungsfähigkeit erhalten, die weit über das hinausgehen, was sie einem jeden anderen Lebewesen gegeben hat. Gleichzeitig aber ist er sehr viel hilfloser und bedürftiger bezüglich Unterhalt und Komfort in seinem Leben. Alle anderen Tiere finden ihre Nahrung in gewünschtem Zustand und so, dass diese ihren natürlichen Gegebenheiten angepasst ist; und sie brauchen wenig andere Dinge. – Aber der Mensch, von zarterer Bauart und schwächlicherer Konstitution, trifft auf nichts, was seinem Gebrauch ohne Verbesserung und Zubereitung angepasst wäre. (Smith 1996, 175f)
Eine gewisse Einförmigkeit, gleichzeitig gepaart mit einem gewissen Grad von Vielfalt, gibt dem Menschen ein Vergnügen: ohne Abwechslung gefällt uns nichts: eine lange eintönige Mauer ist unangenehm. Zuviel Vielfalt, wie z.B. die zusammengehäuften Gegenstände eines Blumenbeetes, ist ebenfalls unangenehm. Einförmigkeit ermüdet den Geist; zuviel Vielfalt, zu weit getrieben, zerstreut den Geist zu sehr. (Smith 1996, 177)
Durch Recht und Staat blühen all die verschiedenen Tätigkeiten, und die nützliche Ungleichheit des Besitzes, die aus ihnen und natürlich und notwendigerweise aus den unterschiedlichen Graden von Fähigkeit, Fleiß und Sorgfalt resultiert, ist hinreichend bewahrt. (Smith 1996, 178)
Begabung ist mehr die Wirkung der Arbeitsteilung, als die Arbeitsteilung diejenige der Begabung. Zwischen einem Träger und Philosophen besteht in den ersten vier oder fünf Jahren ihres Lebens, genau genommen, überhaupt kein Unterschied; erst wenn sie in verschiedenen Tätigkeiten beschäftigt werden, erweitert sich ihr Gesichtskreis und wird nach und nach verschieden. (Smith 1996, 186)
In einer rohen Gesellschaft ist nur der Krieg ehrenhaft. In der Odyssee wird Odysseus zuweilen in beleidigender Absicht gefragt, ob er ein Seeräuber oder ein Kaufmann sei. Zu jener Zeit galt ein Kaufmann als hassenswert und verachtungswürdig, ein Pirat oder aber ein Räuber wurde mit Ehren behandelt, weil er ein Mann von kriegerischer Tüchtigkeit war. Wir können feststellen, dass jene Grundbestandteile des menschlichen Geistes, welche die nützlichsten für die menschliche Gesellschaft sind, keineswegs von Natur als die ehrenwertesten gekennzeichnet sind. Hunger, Durst und der Geschlechtstrieb sind die großen Stützen der menschlichen Gattung, doch fast jeder Ausdruck von ihnen erregt Verachtung. Ebenso ist jener Grundzug im Geiste, der zu Tausch, Tauschhandel und Austausch antreibt, noch nicht als irgend etwas Liebenswertes gekennzeichnet, obwohl er die Hauptgrundlage für Gewerbe, Handel und die Arbeitsteilung abgibt. (Smith 1996, 237)
Es ist eine Härte gegenüber einem Händler, ihn zum Offenlegen seiner Bücher zu zwingen, was der einzige Weg ist herauszufinden, wieviel er verdient. Es ist eine Verletzung der Freiheit und es kann sehr schlimme Konsequenzen zeitigen, wenn sein Kredit vernichtet wird. (Smith 1996, 244)
Immer wenn in einem Land der Handel eingeführt wird, begleiten ihn Ehrlichkeit und Pünktlichkeit ständig. Diese Tugenden sind in einem rohen und barbarischen Land fast gänzlich unbekannt. Von allen Ländern Europas sind die Holländer die handelstüchtigsten und diejenigen, die am treuesten ihr Wort halten. […] Ein Händler muss (immer) fürchten, sein Gesicht zu verlieren, und er hält darum seine Verpflichtungen peinlich genau ein. Macht einer vielleicht zwanzig Verträge an einem Tag, so kann er nicht viel gewinnen durch den Versuch, seinen Nachbarn zu täuschen, denn schon der Anschein eines Betrugs lässt ihn verlieren. Wo aber Leute selten miteinander handeln, sehen wir, dass sie in einer gewissen Weise zum Betrügen neigen, weil sie mit einem smarten Trick mehr gewinnen können, als was sie mit dem damit verbundenen Schaden ihrem Ruf antun. (Smith 1996, 256)
Diejenigen, die wir Politiker nennen, sind nicht die herausragendsten Beispiele in der Welt für Pünktlichkeit und Ehrlichkeit. Diplomaten verschiedener Länder sind es noch weniger: sie werden für jeden kleinen erreichten Vorteil gerühmt und brüsten sich beträchtlich mit diesem Grad an Raffinesse. Der Grund dafür ist, dass Nationen kaum mehr als zwei- bis dreimal in einem Jahrhundert Verträge eingehen, und sie mögen bei einem Betrug mehr gewinnen als durch den schlechten Ruf verlieren. Frankreich springt seit Ludwig XIV. ständig so mit uns um, doch das hat seinem Interesse und seinem Glanz nicht im mindesten geschadet. Werden aber Staaten wie Händler gezwungen, ein- oder zweimal am Tag Verträge einzugehen, so müssten sie genauer sein, um ihren guten Ruf zu wahren. Überall, wo es viele Geschäfte gibt, kann einer nicht von einem Vertrag so viel Gewinn erwarten wie von Pünktlichkeit und Ehrlichkeit insgesamt, und ein kluger Händler, der auf sein wirkliches Interesse achtet, verliert lieber etwas, auf das er eigentlich ein Recht hätte, als Anlass zu Misstrauen zu bieten. Alles dieser Art ist ebenso verhasst, wie es selten ist. Ist der größere Teil eines Volkes im Handel tätig, so kommen immer Pünktlichkeit und Ehrlichkeit in Mode, und dies sind demnach die Haupttugenden einer Handelsnation. (Smith 1996, 256f)
Es gibt aber auch einige Nachteile, die aus dem Handelsgeist entspringen. Den ersten, den wir erwähnen, ist der, dass er die Ansichten der Menschen einengt. Wo die Arbeitsteilung zur Vollkommenheit gebracht ist, hat jeder einzelne nur einen einzigen Handgriff auszuführen. Darauf ist seine ganze Aufmerksamkeit konzentriert und es gehen ihm wenig Dinge durch den Kopf, die damit nicht in einem unmittelbaren Zusammenhang stehen. Wenn der Geist sich einer Vielzahl von Dingen widmet, dann entfaltet und erweitert er sich etwas, und deswegen wird allgemein vom Handwerker vom Lande gesagt, dass er über eine breitere Gedankenfülle verfüge als derjenige aus der Stadt. (Smith 1996, 257)
Die Regel gilt allgemein: in Städten sind die Leute nicht so gescheit wie auf dem Lande, und in den reichen Ländern nicht so wie in den armen. (Smith 1996, 258)
Eine weitere schlechte Auswirkung des Handels ist es, dass er den menschlichen Mut abschwächt und dazu beiträgt, den kriegerischen Geist auszulöschen. In allen handeltreibenden Nationen ist die Arbeitsteilung unbegrenzt, und jedermanns Gedanke ist mit einer einzigen besonderen Sache beschäftigt. […] Die Verteidigung des Landes ist deshalb einer bestimmten Gruppe von Männern anvertraut, die nichts anderes zu tun haben; bei der großen Masse (aber) nimmt der militärische Mut ab. Mit der ständigen Ausrichtung ihres Geistes auf die Künste des Luxus werden sie verweichlicht und feige. […] Unsere Vorfahren waren tapfer und kriegstüchtig, ihre Gedanken waren nicht durch die Pflege des Gewerbes und des Handels geschwächt, und sie waren alle bereit, dem schrecklichsten Feind mit Mut und Tatkraft entgegenzutreten. Aus dem gleichen Grund ist oft ein Heer von vier- bis fünfhundert Europäern in das Land des Moguls eingefallen und sind auch die sehr zahlreichen chinesischen Armeen immer von den Tartaren überrannt worden. (Smith 1996, 259f)
Ein handeltreibendes Land mag im Ausland furchterregend sein und sich mit Flotten und stehenden Heeren verteidigen, aber wenn es überwältigt würde und der Feind ins eigene Land eindringt, dann ist die Eroberung eine leichte Sache. Die gleiche Beobachtung kann man bezüglich Rom und Karthago machen. Die Karthager waren auswärts oft siegreich, aber als der Krieg in ihr eigenes Land hineingetragen wurde, hatten sie keine Chance gegenüber den Römern. Das sind die Nachteile des Handelsgeistes. (Smith 1996, 260)
Untersuchungen über Wesen & Ursachen des Reichtums der Völker
Menschen werden üblicherweise von Staatsmännern und Projektemachern als Material einer Art politischer Mechanik betrachtet, obwohl nichts anderes erforderlich ist als die Natur sich selbst zu überlassen, damit sie ihre eigenen Ordnungen verwirklichen kann. Um einen Staat aus niedrigstem Barbarismus zu höchstem Reichtum zu führen, bedarf es kaum etwas außer Frieden, mäßigen Abgaben und einer erträglichen Handhabung der Gerechtigkeit. Alles andere bringt der natürliche Lauf der Dinge mit sich. Jede Regierung, die diesem natürlichen Lauf entgegenarbeitet, die Dinge in eine andere Richtung zwingt oder die bestrebt ist, den Fortschritt des Gemeinwesens an einem bestimmten Punkt aufzuhalten, muss zwangsläufig, um sich selbst zu erhalten, unterdrückend und tyrannisch sein. (Smith 1999, 35)
Die übertriebene Meinung, welche die Mehrzahl der Menschen von ihren eigenen Fähigkeiten hat, ist ein altes übel, auf das Philosophen und Moralisten aller Zeiten hinweisen. Ihr unsinniger Glaube an ihr eigenes Glück findet weniger Beachtung. Doch ist dieser, wenn möglich, noch allgemeiner verbreitet. Es gibt keinen Menschen, der – bei leidlicher Gesundheit und Geistesverfassung – davon gar nichts hätte. Die Chance eines Gewinnes wird von jedem mehr oder weniger überschätzt, die Chance eines Verlustes aber von den meisten Menschen unterschätzt und von kaum jemandem, der bei leidlicher Gesundheit und Geistesverfassung ist, höher eingeschätzt als sie ist. (Smith 1999, 177)
Weil das Eigentum jedes Menschen an seiner eigenen Arbeitskraft ursprüngliche Grundlage allen anderen Eigentums ist, ist es auch vor allem anderen heilig und unverletzlich. Das Erbteil eines armen Mannes liegt in der Kraft und Geschicklichkeit seiner Hände; und ihn daran zu hindern, diese Kraft und Geschicklichkeit so zu gebrauchen, wie er es, ohne seinen Nachbarn zu schädigen, für richtig hält, ist eine eindeutige Verletzung dieses heiligsten Eigentumsrechtes. Es ist ein offenkundiger Eingriff in die rechtmäßige Freiheit sowohl des Arbeiters als auch derjenigen, die bereit sein könnten, ihn zu beschäftigen. Ebenso wie es den einen daran hindert, das zu arbeiten, was er für richtig hält, hindert es die anderen daran, diejenigen zu beschäftigen, die sie für die richtigen halten. (Smith 1999, 190).
Es ist daher die größte Frechheit und Anmaßung, wenn Könige und Minister über die Haushaltsführung von Privatpersonen zu wachen vorgeben und deren Ausgaben durch Aufwandsgesetze oder Einfuhrverbote für ausländische Luxuswaren einschränken. Immer und ausnahmslos sind sie selbst die größten Verschwender der Gesellschaft. Sollen sie sich doch um ihren eigenen Aufwand kümmern und den Privatleuten getrost den ihrigen überlassen! Wenn ihre eigene Unmäßigkeit den Staat nicht ruiniert, wird es die ihrer Untertanen gewiss niemals tun. (Smith 1999, 376f)
In der Regel hat jeder einzelne freilich weder die Absicht, das Gemeinwohl zu fördern, noch weiß er, wie sehr er es fördert. Wer die heimische Erwerbstätigkeit der ausländischen vorzieht, denkt nur an seine eigene Sicherheit; und wenn er diese Erwerbstätigkeit so ausrichtet, dass die größte Wertschöpfung erfolgt, denkt er nur an seinen eigenen Vorteil, und dabei wird er, wie in vielen anderen Fällen auch, von einer unsichtbaren Hand geleitet, einem Zweck zu dienen, der nicht in seiner Absicht lag. Für die Gesellschaft ist es nicht immer von Schaden, dass dieser nicht in seiner Absicht lag. Indem er sein eigenes Interesse verfolgt, fördert er häufig das der Gesellschaft wirksamer, als wenn er sich tatsächlich vornimmt, es zu fördern. Ich habe nie gehört, dass diejenigen viel Gutes bewirkt hätten, die vorgaben, im Interesse des allgemeinen Besten zu handeln. (Smith 1999, 467)
Das natürliche Bestreben jedes einzelnen, seine Lage zu verbessern, ist, wenn es sich in Freiheit und Sicherheit äußern darf, ein so mächtiges Prinzip, dass es allein und ohne jede Hilfe nicht nur die Gesellschaft zu Reichtum und Wohlstand führen kann, sondern auch hundert unnötige Hindernisse zu überwinden vermag, die ihm die Torheit menschlicher Gesetze nur zu oft in den Weg legt; dennoch wirken sich diese Hindernisse immer mehr oder weniger als Eingriff in die Freiheit oder als Minderung der Sicherheit dieses Prinzips aus. (Smith 1999, 541f)
Sklaven sind […] sehr selten erfinderisch; und alle besonders wichtigen arbeitserleichternden und -verkürzenden Verbesserungen entweder an Maschinen oder in der Anordnung und Aufteilung eines Fertigungsvorganges waren die Erfindungen freier Männer. (Smith 1999, 669)
Sobald aber die Moral – ebenso wie die Naturphilosophie – nurmehr als Hilfswissenschaft der Theologie gelehrt wurde, behandelte man die Pflichten des menschlichen Lebens hauptsächlich als Mittel zur ewigen Seligkeit. Den antiken Philosophen zufolge verschafft die Vervollkommnung der Tugend demjenigen, der sie besaß, notwendigerweise schon in diesem Leben vollkommenste Glückseligkeit. Vielen modernen Philosophen zufolge war sie mit Glückseligkeit in diesem Leben im allgemeinen oder genauer: so gut wie immer unvereinbar; den Himmel konnte sich einer nur durch Buße und Ertötung des Fleisches, durch Entbehrungen und Demutsübungen mönchischen Lebens verdienen, nicht durch freisinniges, edles und mannhaftes Betragen. In den meisten Fällen bestand die Moralphilosophie der Scholastik großteils in Kasuistik und asketischer Moral. Der allerwichtigste von allen Zweigen der Philosophie wurde auf diese Weise am allermeisten verdorben. (Smith 1999, 740)